Für die Transatlantiker war es ein schwarzer Tag, für die politische Führung in Kiew eine Hiobsbotschaft: Mit der baldigen Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus tritt für sie der Ernstfall ein. Im Lager der Kriegsgegner, die darauf hoffen, dass in der Ukraine endlich die Stunde der Diplomatie anbricht, herrscht vorsichtiger Optimismus. Schließlich hatte Trump bereits großspurig angekündigt, er könne den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden (z.B. AP-Bericht, Englisch). Tatsächlich fürchten viele Politiker, die noch immer von einem militärischen Sieg der Ukraine über Putins Russland träumen, der neue Starke Mann im Weißen Haus könnte den Rückzug der USA aus dem Konflikt einleiten, wenn es mit dem von ihm angestrebten "Deal" nicht klappt.
Es verwundert nicht, wie manche von den USA abhängige Entscheidungsträger sich nun mit unappetitlichen Anbiederungsversuchen an den ungeliebten Wahlsieger wenden. Der ukrainische
Präsident Wolodymyr Selenski war einer der weltweit ersten Staatschefs, der Trump zu dessen "eindrucksvollem Sieg" bei den Präsidentschaftswahlen beglückwünschte und die
Waffenbrüderschaft beschwor, die Trump wahrscheinlich gar nicht mehr will (Auf Englisch bei Twitter/X). Lettlands Premierministerin Evika Siliņa beendete ihre Glückwünsche an Trump mit dem etwas
albernen Schlusssatz: "Lettland gibt schon mehr als drei Prozent für Verteidiung aus."
Grund zur Sorge bleibt tatsächlich: In Erinnerung blieben Äußerungen des milliardenschweren Populisten Trump, die Vereinigten Staaten würden Europa bei einem militärischen Konflikt mit
Russland künftig nicht zur Seite springen, wenn die Europäer nicht endlich mehr Geld für Militär und Rüstung ausgeben. Im Gegenteil - er würde die Russen sogar ermutigen, mit Europa zu
tun, "was zur Hölle auch immer sie tun wollen" ("whatever the hell they want", Bericht u.a. CNN, Englisch). Dann wieder erklärte er im Wahlkampf die
wirre Geschichte, er habe Putin einst für den Fall einer Invasion im Nachbarland einen Militärschlag gegen Moskau angedroht und mit dieser Entschlossenheit den Krieg damals
vorerst abgewendet (Bericht u.a. Newsweek, Englisch): "Ich sagte: Wir sind Freunde. Ich will das
nicht tun, aber ich habe keine Wahl."
Mittlerweile kursieren in Medienberichten verschiedene Pläne, die in Trumps Umgebung angeblich zur Beendigung der heißen Kriegsphase in der Ukraine diskutiert werden (Details u.a. bei Wall Street Journal, Englisch, €). Alle laufen auf ein Einfrieren des Konflikts an der aktuellen Frontlinie hinaus, wozu aktuell weder Putin, noch Selenski, noch die führenden EU-Staaten bereit sind. Russland würde den Überlegungen zufolge die Kontrolle über die besetzten Gebiete vorerst behalten, die Ukraine müsste ihre Nato-Ambitionen fürs Erste begraben. Und womöglich sollen entlang der 1.300 Kilometer langen Frontlinie westeuropäische Truppen stationiert werden. Jedenfalls keine amerikanischen.
In Russland hatte sich Staatschef Putin mehrfach zum US-Wahlkampf geäußert, und zunächst erklärt, er würde einen Wahlsieg von Joe Biden bevorzugen, da Trump zu unberechenbar
sei. Dabei haben Putin und Biden seit Jahren nicht einmal mehr miteinander gesprochen. Als Biden aus dem Rennen genommen wurde, sprach Putin Kamala Harris mit der absurden
Begründung seine Unterstützung aus, sie lache so hübsch: "Trump hat so viele Beschränkungen und Sanktionen gegen Russland verhängt, wie kein Präsident vor ihm. Und wenn es Frau Harris gut
geht, wird sie vielleicht von dieser Art von Maßnahmen absehen." (Zitiert nach Zeit.de). Diese Äußerungen klangen weder aufrichtig noch staatsmännisch, eher
wie die eines Trolls aus einem Internetforum. Und wahrscheinlich sollten sie auch genauso klingen.
Dennoch wäre insbesondere eine Wiederwahl Bidens womöglich wirklich im Interesse des Kremls gewesen, notierte der eher regierungsnahe russische Außenpolitik-Experte Dmitri Trenin kurz vor
der Wahl in einem Gastbeitrag bei Telepolis. Einerseits sei Biden ein erfahrener Politikprofi,
dem die Bedeutung und Gefahren der atomaren Abschreckung noch bewusst seien. Andererseits erinnere er schon zeitweise an die greisen KP-Generalsekretäre der späten Sowjetunion - "was für
den Kreml eine gute Gegenwerbung darstellt: die Vereinigten Staaten als altersschwacher Welthegemon."
Grundsätzlich sei zu beobachten, dass die Stimmung in Russlands Regierungskreisen vor einer US-Präsidentschaftswahl noch nie so gelassen gewesen sei wie 2024. Über den US-Wahlkampf sei
im Fernsehen ausführlich berichtet worden, "allerdings im Sinne einer spannenden Aufführung eher im Stil einer Farce" und nicht wie etwas, was für die Russen von Bedeutung
wäre.
Ganz anders bei Trumps erstem Sieg 2016: Damals hatte das russische Parlament die Nachricht noch mit begeistertem Applaus gefeiert, der rechte Krawall-Politiker Wladimir Schirinowski
ließ zu Ehren seines Bruders im Geiste in Moskau ein Bankett auffahren, um auf ihn anzustoßen (Meldung RBK, Russisch). Nun hieß es etwa von Putin-Sprecher Dmitri Peskow, man müsse Trump an seinen Taten messen,
nicht an seinen Wahlkampfreden.
In Moskau hat man nicht vergessen, dass sich die Beziehungen beider Länder während Trumps erster Amtszeit drastisch weiter verschlechtert hatten, obwohl Trump vielen im Westen
als Mann des Kremls galt und manchen bis heute gilt. Tatsächlich hatte jedoch Trump das zuvor geltende amerikanische Waffenembargo gegen die Ukraine aufgeboben. Der
westliche Wirtschaftskrieg gegen Russland nahm in seiner Amtszeit an Fahrt auf. Trumps damaliger Botschafter in Berlin, Richard Grenell, schickte den am Nord-Stream-2-Projekt beteiligten
deutschen Unternehmen unverschämte Drohbriefe. Das einzige Gipfeltreffen zwischen beiden Staatschefs in Helsinki (für das Trump massiv kritisiert worden war, weil er sich überhaupt
mit Putin traf), endete ergebnislos. Nicht ein einziges gemeinsames Dokument wurde damals unterzeichnet. Währenddessen wetteiferten Republikaner und Demokraten darum, immer weitergehende
antirussische Sanktionen auf den Weg zu bringen. In Syrien kamen sich russische und amerikanische Militärs so gefährlich nahe, dass zeitweise die Gefahr direkter Kampfhandlungen
bestand.
Entscheidend für die weitere Entwicklung werde sein, welche Berater Trump nun um sich scharen werde, kommentiert Justin Logan von der US-amerikanischen Denkfabrik Cato Institute
(zitiert nach Responsible
Statecraft, Englisch): "Jeder, der behauptet zu wissen, was Trump mit der Ukraine tun wird, lügt oder hat Wahnvorstellungen. Trump selbst weiß es nicht."
Dass die heiße Phase des Ukraine-Krieges unter einem US-Präsidenten Trump abflauen könnte, ist nicht ausgeschlossen. Dass der neue Ost-West-Konflikt dadurch entschärft werden könnte,
ist aus mehreren Gründen allerdings nahezu unvorstellbar. Der wichtigste ist: Das von Trump gewollte Ende des Ukraine-Krieges entspringt eben nicht einer wie auch immer
gearteten pazifistischen Grundeinstellung, sondern der Überlegung, dass er von der wesentlichen Auseinandersetzung der kommenden Jahrzehnte ablenkt. Der Konflikt zwischen den USA und der
aufstrebenden Volksrepublik China ist das, wofür sich Trump wirklich interessiert. Seit 2022 hat sich Russland allerdings als Folge der westlichen Sanktionen so eng an China gekettet wie
niemals zuvor in der Geschichte. Es ist schwer vorstellbar, was Trump den Russen anbieten müsste, um dieses Bündnis zwischen Moskau und Peking zu lösen. Der Politologe
Trenin kommt ebenfalls zu dem Ergebnis: "Auch nach dem Ende der offenen Konfrontation in der Ukraine wird die globale Konfrontation zwischen Russland und den Vereinigten Staaten noch viele
Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte andauern."
Auch in Russland gibt es derzeit gar kein nennenswertes Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen zum Westen oder an einer Kompromisslösung für den Ukraine-Konflikt. Die
russische Führung hat sich in die Idee versteift, statt einer Rückkehr zur Kooperation mit den USA und dem restlichen Westen die gesamte US-dominierte Weltordnung vom Podest zu
kippen. Dass Putin bereit ist, von seinen Plänen Abstand zu nehmen, ist derzeit nicht erkennbar, obwohl sein Krieg gegen das Nachbarland
kolossale Ressourcen verschlingt und auch in Russland einen irrsinnigen Blutzoll fordert. Der Hass auf Amerika - die "Angelsachsen" - und die Feindseligkeit gegenüber den an Washington gebundenen Westeuropäern gehört mittlerweile zur politischen DNA in russischen Regierungskreisen.
Dass eine Trump-Administration beim zweiten Anlauf die Beziehungen der Großmächte wieder verbessern könnte, ist auch deswegen sehr unwahrscheinlich, weil die von Trump
gekaperte Partei der Republikaner nie sonderlich kompromissbereit gegenüber Russland war. Nach dem Tod des fanatisch antirussischen Senators John McCain ("Russland ist eine
Tankstelle, die so tut, als sei sie ein Land.") geben dort weiter Politiker wie Lindsey Graham den Ton an, der schon öffentlich zur Ermordung von Putin aufgerufen hat. Jeder
"Deal" mit dem Kreml, den Trump möglicherweise einfädeln will, träfe auf massive Gegenwehr auch aus den eigenen Reihen.
Schließlich ist der Ukraine-Krieg für zu viele einflussreiche Kräfte ein profitables Geschäft - in Russland und der Ukraine ebenso wie in den
USA. Kriegszeiten sind ideal für alle, die sich unkontrolliert bereichern wollen, etwas Besseres als ein endloser Abnutzungskrieg kann ihnen gar nicht passieren. Dementsprechend
vermelden Waffenschmieden wie Boeing, Lockheed Martin oder General Dynamics dank Ukraine und Gaza-Krieg Rekordgewinne. RTX, Hersteller unter anderem von Raketen und bunkerbrechenden Bomben,
konnte seinen Investoren im Zeitraum zwischen Oktober 2023 und Oktober 2024 eine sagenhafte Rendite von über 82 Prozent bieten (Beficht Defense Mirror, Englisch).
Nach Trumps Wahlsieg gab der SPD-Außenpolitiker Michael Roth in einer Spiegel-Gesprächsrunde (ab Minute 50:55) bereits eine
bemerkenswerte Kostprobe, wie manche in Berlin auf den Machtwechsel an der Spitze der westlichen Supermacht reagieren wollen. Europa solle Trump einen Vorschlag unterbreiten:
"Wir sind bereit, die komplette Unterstützung der Ukraine finanziell zu schultern. Wir sind bereit, Waffen aus den USA für die Ukraine zu kaufen, und das ist
unser Angebot. Ich kann mir nichts anderes vorstellen." Europa bekäme also das gesamte Elend des Ukraine-Kriegs von den USA vor die Füße geworfen, müsste die Folgen der
Katastrophe selbst ausbaden, während US-Konzerne weiter Milliarden mit dem Sterben verdienen könnten. Das klingt schäbig. Aber es klingt auch so, als könnte Trump an diesem "Deal"
durchaus seinen Gefallen finden.
kp, aufgeschrieben am 10.11.2024