"Schäumt der Terek zwischen steilen
Felsen, wild, in Zornesglühn?
Seine Klagen — Sturmesheulen,
Seine Tränen — Funkensprühn."
Michail Lermontow (1814-1841), russischer Dichter, "Die Gaben des Terek"
Hinter jeder Kurve warten neue atemberaubende Aussichten, und bis heute bangt jeder Reisende ein wenig, ob er wohl wie geplant am anderen Ende ankommen wird: Die Georgische Heerstraße von Wladikawkas in Russlands Teilrepublik Nordossetien nach Tiflis in Georgien ist mehr als eine wichtige Fernverkehrstrasse und Handelsroute - sie ist zurecht eine Legende. Auf einer Gesamtlänge von rund 210 Kilometern windet sich die Straße bis auf knapp 2.400 Meter Höhe und führt einmal quer über den Kaukasus. Allerdings liegt nur ein knapp 35 Kilometer langer Streckenabschnitt auf russischem Gebiet. Die spektakulärsten Teile befinden sich südlich der Grenze, insofern ist die Georgische Heerstraße auch und in erster Linie ein Höhepunkt jeder Georgien-Reise.
Schon seit Menschengedenken verband ein Handelsweg entlang des Terek-Flusses, vorbei an der Ostseite des majestätischen Kasbek die Nord- mit der Südseite des
Kaukasus-Gebirges. Nachdem der östliche Teil Georgiens Ende des 18. Jahrhunderts zum russischen Protektorat geworden war, begann der systematische Ausbau einer Straßenverbindung durch das
Gebirge. Offiziell eröffnet wurde die Georgische Heerstraße 1799, aber erst 15 Jahre später wurde der Verkehr auch für Kutschen freigegeben.
Mittlerweile ist die zweispurige Straße durchgehend asphaltiert. Eine Fahrt ist prinzipiell das ganze Jahr über möglich, aber insbesondere in den Wintermonaten wird die Strecke immer
wieder für mehrere Tage am Stück wegen Lawinengefahr gesperrt. Zwischen April und Oktober ist die Verbindung relativ zuverlässig offen, aber auch im Sommer kann es immer wieder zu
Erdrutschen kommen. Wer die Straße entlangfahren will, sollte unbedingt vorher im Internet prüfen, ob sie überhaupt passierbar ist. Es gibt auch grenzüberschreitend eine Vielzahl von Sammeltaxis,
die auf der Straße unterwegs sind. Am Bahnhof und Busbahnhof von Wladikawkas wird jeder Reisende sofort angesprochen, ob er nicht nach Georgien fahren will. Allerdings empfehlen wir,
etwas mehr Geld zu investieren und ein Privattaxi anzuheuern - denn dann lässt sich der eine oder andere Fotostopp arrangieren.
Die Georgische Heerstraße ist bis heute die einzige Landverbindung zwischen Russland und Georgien, da Transitfahren entlang der Schwarzmeerküste durch die vom georgischen
Zentralstaat abgespaltene Republik Abchasien unverändert nicht möglich sind. Enorm ist die Bedeutung der Gebirgsroute auch für Armenien. Die Grenze des kleinen Kaukasus-Staates zum
verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan sind geschlossen, deshalb führt der einzige Weg nach Russland auch für Armenier über die georgischen Gebirgspässe.
Entsprechend viel Betrieb herrscht am einzigen russisch-georgischen Grenzübergang Werchni Lars - Dariali. Reisende müssen sich insbesondere auf russischer Seite auf mehrstündige
Wartezeiten einstellen. Bei den Georgiern geht dann alles wesentlich schneller. Von der Einreise mit dem Lastwagen über die Grenze raten wir dringend ab, die Wartezeiten summieren sich
vermutlich auf mehrere Tage. Während der Tschetschenien-Kriege und nach dem russischen Militäreinsatz gegen Georgien 2008 war die Grenze zeitweise komplett geschlossen oder nur für Bürger der
GUS-Staaten geöffnet. Inzwischen kann hier wieder jederman passieren. Westeuropäer wirken auf die Grenzer aber noch immer verdächtig und können - so ist es mir passiert - einer ausführlichen
Befragung unterzogen werden. Wer es eilig hat, sollte mit den Vertretern der Staatsmacht vielleicht besser kein Russisch oder Englisch sprechen.
Wer von Norden aus seine Fahrt auf der Georgischen Heerstraße startet, folgt zunächst dem Flusslauf des Terek, der im Kaukasus entspringt. Von Wladikawkas aus dauert es auf der gut ausgebauten Trasse nur eine gute halbe Stunde bis zum Grenzübergang. Schon am Stadtrand fällt der Blick auf eine spektakuläre Bergkulisse, je näher die Grenze zu Georgien rückt, umso enger wird das Tal, in dem sich der Fluss seinen Weg bahnt. Teilweise verläuft direkt am Terek die administrative Grenze zwischen den russischen Teilrepubliken Nordossetien und Inguschetien. Die einzige Brücke hier ist schwer bewacht. Schon viele Kilometer vor dem eigentlichen Grenzübergang beginnt der Stau der Lastwagen mit Nummernschildern aus aller Herren Länder: auch Ukrainer, Aserbaidschaner, Türken und Iraner stehen dort mit ihren Brummis in der endlosen Schlange.
Kurz vor der Staatsgrenze beginnt ein erster besonders beeindruckender Abschnitt der Georgischen Heerstraße - die Darialschlucht, in der auf mehreren Kilometern Länge links und rechts von Fluss und Straße Felsen bis zu 1.000 Meter hoch aufragen. Dieser Ort war einst in Persien als "Tor der Alanen" bekannt ("Dar i Alan") bekannt. Die Schlucht liegt genau zwischen der südlichsten russischen Siedlung Werchni Lars und der ersten größeren georgischen Ortschaft Stepanzminda. Mitten darin befinden sich auch die Grenzübergangsstellen beider Länder. Werchni Lars - Dariali ist definitiv einer der spektakulärsten Grenzübergänge, die man sich nur vorstellen kann. Aber schon im 19. Jahrhundert machte dieser Ort gewaltig Eindruck bei Reisenden: Die russischen Dichter Alexander Puschkin und Michail Lermontow erwähnten die Darial-Schlucht in ihren Gedichten.