Weihnachtsmann mit Parteibuch

Russische Weihnachtsmänner
Weihnachtsmänner-Gipfeltreffen in Moskau

Von Boris Jelzins Premierminister Viktor Tschernomyrdin stammt der tausendfach zitierte Satz: "Egal, was für eine gesellschaftliche Organisation wir auch gründen, es kommt immer die KPdSU dabei raus." Wie wahr, wie wahr...

 

Weliki Ustjug (Dezember 2002). Es sollte eine schöne, bunte Reportage aus Nordrussland werden. Ein Treffen mit dem Weihnachtsmann. Mit dem echten, wohlgemerkt. Nicht mit denen, die die Moskauer in der Neujahrsnacht für hundert Dollar mieten können. Väterchen Frost, der russische Weihnachtsmann, hatte seit einigen Jahren seine offizielle Residenz in dem beschaulichen Städtchen Weliki Ustjug. Doch der Kurzbesuch im frostigen Norden hinterließ einen faden Nachgeschmack. Die Kreml-Partei "Einiges Russland" hatte sogar Väterchen Frost für sich in Beschlag genommen.

 

Die mehr als zwanzigstündige Reise in die Weihnachtsmann-Stadt Weliki Ustjug begann auf dem Jaroslawler Bahnhof in Moskau — bei lausigen null Grad und Regen. Am nächsten Morgen wachten die Zugpassagiere bereits in einer anderen Welt auf: Außerplanmäßiger Halt in einem gottverlassenen, tief verschneiten Dorf im Gebiet Archangelsk. Wegen Schneeverwehungen musste der Zug gestoppt werden und warten, bis die Trasse von einem Schneepflug wieder freigelegt worden war.

 

Und schließlich — nach anderthalbstündiger Taxifahrt über eine völlig leere Trasse, mitten durch tiefe Tannenwälder die Ankunft in Weliki Ustjug, einer kleinen Stadt mit großem, nahezu magischem Namen. Einst Ausgangspunkt für die Entdeckungsreisen Richtung Ural und Sibirien, ein Ort voller alter Kirchen und Kaufmannshäuser. Später so vergessen von der Welt, dass die Kommunisten über ein Jahr brauchten, um die Sowjetmacht in der Gegend auszurufen. Nicht, dass die Bürger in Weliki Ustjug so heftigen Widerstand geleistet hätten. Die Stadt war von den großen Zentren aus einfach sehr schlecht zu erreichen.

Weliki Ustjug Kirche
Bilderbuch-Russland: Recherchebesuch im winterlichen Weliki Ustjug

Zu Gast bei der Weihnachtsmann-AG

 

In Weliki Ustjug waren alle Treffen für meine Reportage schon lange im Voraus arrangiert. Tatjana Muromzewa von der Väterchen Frost AG hatte einen Besuch im Weihnachtsmann-Postamt organisiert und freundlicherweise eine Art Präsidentensuite im einzigen Hotel der Stadt reservieren lassen. Abends dann war ein Besuch in der weit außerhalb der Stadt gelegenen Weihnachtsmann-Residenz geplant, einer Siedlung von Holzhäusern im russischen Märchenstil mit einem hölzernen Väterchen-Frost-Palast.

 

Wie sich herausstellte, hatte Tatjana Muromzewa ihren Terminvorschlag für meinen Besuch nicht zufällig gemacht. An diesem Abend startete die Väterchen Frost AG eine Werbeaktion in eigener Sache. Ein "Bote des Weihnachtsmanns" sollte auf eine Reise quer durch Russland geschickt werden, um überall Werbung für die Väterchen-Frost-Residenz zu machen, der die Verantwortlichen ein enormes touristisches Potential vorhersagten. 

 

Kein Wunder also, dass auch eine Menge regionaler Presseleute bereits vor Ort waren — und etliche kostümierte Weihnachtsmann-Gehilfen. Das Lokalradio wollte von dem deutschen Besucher wissen, wie es mir denn so gefiele in Weliki Ustjug. "Die Stadt ist wunderschön", sagte ich wahrheitsgemäß. Einen Kommentar zu der kitschigen Weihnachtsmann-Anlage verkniff ich mir. Die Abfahrt des "Boten" in der Pferde-Troika musste zwei Mal wiederholt werden, weil das Regionalfernsehen beim ersten Mal nicht mit den Aufnahmen zufrieden war.

 

Dank an die Partei

 

Anschließend begannen die kostümierten Weihnachtsmann-Helfer rund um ein Lagerfeuer eine Art Polonaise im Schnee zu tanzen, zogen auch einige Journalisten mit in ihre Reihen und winkten dabei mit bunten Fähnchen herum. Diese Fähnchen hatten es in sich: Auf ihnen befand sich nichts anderes als die offizielle Symbolik der Putin-Partei "Einiges Russland"

 

Und damit nicht genug. In seinem Holzpalast lobten Vertreter der örtlichen Politprominenz und sogar Väterchen Frost persönlich vor den Kameras das "Einige Russland". Nur dank der finanziellen Unterstützung durch die Partei habe der Weihnachtsmann seinen Boten losschicken können. Auf den Werbekalendern zu der Aktion prangte wiederum ein buntes "Einiges Russland"-Logo.

 

Mein Interview mit Väterchen Frost fiel danach schon deutlich frostiger aus, als ich es geplant hatte. Von wegen "echter Weihnachtsmann". Nicht, dass ich wirklich an den geglaubt hätte, aber es war doch eine Enttäuschung: Der in Weliki Ustjug war genauso käuflich wie die Moskauer Schauspielstudenten, die sich an Silvester einen weißen Wattebart ankleben. (kp)


Mehr skurrile Erlebnisse aus einer aufregenden Zeit in Russland sind hier nachzulesen:


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