Irgendwann wird es ein Russland nach Putin geben. Wie es aussehen wird, lässt sich seriös kaum vorhersagen. Doch dass die russische Opposition dabei eine entscheidende Rolle spielen wird, ist leider eher unwahrscheinlich. Unzählige Gesetzesänderungen der zurückliegenden Jahre machen es unabhängigen Politikern mittlerweile unmöglich, sich ohne Segen der Staatsführung zu profilieren - und sei es auf Bürgermeisterebene. Zur Wahrheit gehört aber auch: Russlands Opposition bietet allzu oft ein verheerendes Bild, für das sie zu einem wesentlichen Anteil selbst verantwortlich ist.
Für die Transatlantiker war es ein schwarzer Tag, für die Führung in Kiew eine Hiobsbotschaft: Viele, die noch immer von einem militärischen Sieg der Ukraine über Putins Russland träumen, fürchten, Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus könnte den Rückzug der USA aus dem Konflikt einleiten, wenn es mit dem von Trump angestrebten "Deal" nicht klappt. Schließlich hatte der Wahlsieger bereits angekündigt, er könne den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden (z.B. AP-Bericht, Englisch).
Während sich die EU-Staaten weiter gegen den ungeliebten großen Nachbarn im Osten abschotten, werden die Verbindungen zwischen Russland und dem Rest der Welt langsam wieder besser. Zahlreiche Fluggesellschaften bieten in ihren aktuellen Plänen neue Verbindungen aus der Türkei, den Staaten der früheren Sowjetunion und dem Nahen Osten, und zwar nicht nur nach Moskau, sondern auch in viele regionale Zentren. Und manche Angebote könnten sogar für Reisende aus dem Westen interessant sein, die seit 2022 in jedem Fall lange Umwege nehmen müssen. So hat etwa die arabische Billigfluggesellschaft Air Arabia neuerdings Verbindungen zwischen Wien und russischen Zielflughäfen im Angebot (Meldung Travel.ru, Russisch).
Trotz der unvorstellbaren Gräuel, die deutsche Soldaten im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu verantworten hatten, war das Deutschlandbild in Russland lange Zeit fast durchweg positiv. Die Deutschen genossen außergewöhnlich große Sympathien, wie ich im Laufe der Jahre immer wieder erstaunt feststellen konnte. Seit der Krieg in der Ukraine 2022 eskalierte und Politiker beider Länder nur noch über öffentlichkeitswirksame Drohungen miteinander kommunizieren,
haben nicht nur die politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten einen Tiefpunkt erreicht. Auch die Einstellung der Russen hat sich rasant geändert. Dies machte eine im Herbst vorgestellte Studie des russischen Meinungsforschungsinstituts "Levada Center" deutlich.
Sommerurlaub ist vermutlich das falsche Wort, um unsere über dreiwöchige Reise im Juli und August 2024 zu beschreiben. "Odyssee" trifft es besser. Vom Party-Hotspot des Baltikums und einem vom Eisernen Vorhang zerschnittenen Naturwunder an der Ostsee führte der Weg zu russischen Freunden und Verwandten, bis zum Moskauer Kreml und an die breite Wolga - mit vier Flügen, einer Fährpassage, mit Eisenbahn, Linienbus, Taxi und einem Fußmarsch über die Grenze. Die Realitäten des neuen Kalten Krieges zwangen uns wieder groteske Umwege auf - dieses Mal bis nach Afrika. Dennoch gilt: Auch in der aktuellen Situation sind Besuche in Russland grundsätzlich weiter möglich, wenn man bereit ist, einige Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen.
Das politische Establishment in Brüssel und Berlin war empört: Ungarns umtriebiger Ministerpräsident Viktor Orbán sorgte im Juli mit seiner selbst initiierten Friedensmission für so viel Ärger, dass die EU-Kommission einen geplanten Besuch in Budapest absagte. Das neu gewählte EU-Parlament verurteilte die diplomatischen Bemühungen der Ungarn sogar mit großer Mehrheit. Der Versuch, mit Pendeldiplomatie einen Waffenstillstand für die Ukraine näherzubringen, rüttelt am Mantra vom unausweichlichen militärischen Sieg über Russland. Seit den - auch dank des westlichen Störfeuers - gescheiterten Verhandlungen von Istanbul (Bericht z.B. Telepolis) hat es keine ernsthaften diplomatischen Bemühungen mehr gegeben. Könnte sich das bald ändern?
Jahrhunderte lang war Königsberg wirtschaftliches und politisches Zentrum des deutschsprachigen Ostens. Die Heimatstadt des großen Philosophen Immanuel Kant galt als eine der schönsten Städte im Ostseeraum. Alles änderte sich mit dem Zweiten Weltkrieg, als die Rote Armee die Trümmer der zerbombten Preußenresidenz eroberte und Königsberg mitsamt dem nördlichen Ostpreußen an die Sowjetunion fiel. Umbenannt zu Ehren des Sowjetfunktionärs Michail Kalinin verschwand Kaliningrad für Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang und wurde als sozialistische Stadt wieder aufgebaut. Doch Besucher finden an den Ufern des Pregels und in den einstigen Vororten noch immer erstaunlich viele Erinnerungen an die Vorkriegszeit.
Russlands wichtigste Fluggesellschaft Aeroflot plant zwischen den beiden größten Städten des Landes Moskau und St. Petersburg ab Juni einen so engen Taktverkehr, wie mancherorts sonst die Straßenbahn unterwegs ist. Tagsüber sollen die Flieger alle 15 Minuten abheben. Über 70 Flüge je Richtung täglich werden zwischen den beiden Moskauer Flughäfen Scheremetjewo oder Wnukowo und dem Petersburg-Pulkowo von Aeroflot und der Tochtergesellschaft "Rossija" zu einem neuen "Shuttle-Tarif" angeboten, meldete die Nachrichtenagentur RBC (Bericht Russisch). Mit einer Reihe von Neuerungen wollen die Airlines Boden im Konkurrenzkampf mit der Eisenbahn gutmachen, deren Flotte von Breitspur-ICEs ("Sapsan") sich trotz oft happiger Preise großer Beliebtheit erfreut.
Wie das neue Einreise-Verfahren für Kurzbesuche funktioniert
Die Einführung des landesweit gültigen E-Visums für Russland-Reisende aus über 50 Staaten war schon Jahre vor dem Start im August 2023 angekündigt,
aber wegen Coronavirus-Krise und dem nahezu nahtlos anschließenden Beginn der Ukraine-Krieges mehrfach verschoben worden. Mittlerweile haben viele Reisende Erfahrungen mit dem
E-Visa-Antragsverfahren gemacht, auch ich bin im Februar 2024 zum ersten Mal damit
nach Moskau geflogen. Es macht tatsächlich vieles einfacher, hat aber auch seine Tücken.
Die Entscheidung, Ende Februar 2024 nach vielen Jahren wieder einmal mitten im Winter nach Russland zu reisen, fiel spontan mit nur wenigen Wochen Vorlauf. Eigentlich sind die Wintermonate eine großartige Zeit, um das Land zu besuchen. Städte, Häuser und Natur sind mit märchenhaftem Weiß bedeckt. Der Schnee verbirgt viel von dem, was weniger schön ist, und knirscht bei Frostwetter faszinierend unter den Stiefeln. So unbeschwert wie früher sind solche Reisen in den aktuell finsteren Zeiten nicht möglich. Immer schwingt die Vorstellung mit, welch guten Weg Europa gemeinsam hätte gehen können, wenn nicht alles zielstrebig kaputtgeschlagen worden wäre, ein Gefühl von Weltschmerz ist mein ständiger Begleiter auf dieser Fahrt.
Anfang März 2024 hat das Auswärtige Amt in Berlin seine "Reise- und Sicherheitshinweise für Russland" nochmals verschärft. Wegen der angeblichen Gefahr "willkürlicher Festnahmen" wird von Reisen in das größte Land der Welt nicht mehr nur abgeraten, sondern "dringend abgeraten". Zahlreiche Medien griffen das Thema auf, und innerhalb von wenigen Stunden nach meiner Rückkehr von einer Reise zu Familie und Freunden ins winterliche Russland meldeten sich etliche deutsche Bekannte, ehrlich erleichtert, dass ich in Moskau nicht in Geiselhaft genommen wurde. Die "Sicherheitshinweise" aus Berlin verunsichern momentan viele - dabei sind sie voller Fehler und folgen in manchen Punkten eher ideologischem Schubladendenken als den Fakten.
Ende 2023 wurde auch der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hinter den Polarkreis verbracht, nach einem weiteren Prozess, der ihn für immer von der politischen Bühne Russlands beseitigen sollte. In ein Straflager in Charp, am Ende der Welt. Nun ist Nawalny tot, er wurde 47 Jahre alt. Die russische Polizei nimmt regierungskritisch gesonnene Russen fest, die Blumen stellvertretend an den Denkmälern für die Opfer des Stalin-Terrors niederlegen. Westliche Politiker überbieten sich mit zornigen Statements. Und die russische Führung tut so, als habe sie nichts mit allem zu tun.
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