Ausländer-Preise: Apartheid auf der Hochzeitsreise

Hotel Azimut Lotos Astrachan
Das frühere Hotel Lotos in Astrachan war 2015 kaum noch wiederzuerkennen

Astrachan (Mai 1998). "Fahren Sie zur Hölle mitsamt Ihrem Hotel!" Wütend stürmte ich aus der Empfangshalle und schleifte Anna mit. Nach einigen Jahren Russland gab es kaum noch eine Situation, in der ich wirklich wütend werden konnte. Die junge Frau an der Rezeption hatte es geschafft. Völlig emotionslos hatte sie darauf beharrt, dass ich für meine Hälfte des Doppelzimmers, das wir mieten wollten, doppelt so viel zahlen sollte, wie meine Frau für ihre. Ausländerpreis. So sei das eben in Russland.

Das Hotel "Lotos", ein großer Klotz direkt am Wolga-Ufer und nur ein paar Schritte vom weißen Kreml von Astrachan entfernt, war ein durch und durch sowjetisches Haus und doch eine besten Adressen der Stadt. Am Flussufer standen aufgereiht die kleinen Lokale, in denen alle erdenklichen Fische zubereitet wurden. Auf Gartenstühlen konnte man auf die letzten Kilometer der Wolga blicken, bevor sie das Kaspische Meer erreichte, dazu eine Pepsi-Cola trinken und gebratenen Stör mit Pommes essen. Das Frühstück im "Lotos" wurde auf der Dachterrasse serviert, Stampfkartoffeln mit Würstchen und Ketchup — so konnte der Tag gut starten. Abends klopften zwei junge Frauen an die Tür und fragten, ob ich mich nicht zufällig etwas "entspannen" wolle. Irgendwie unpassend für die eigene Hochzeitsreise, wie ich fand.

 

Nur hinter den brennenden Müllcontainern kein Ausländerpreis

 

Im "Lotos" ging es so zu, wie in hunderten anderer russischer Provinz. Prostituierte, gekochte Würstchen mit Stampfkartoffeln zum Frühstück, eine "Etagenfrau" auf jedem Stockwerk, Sitzbadewannen — und natürlich ein gepfefferter Sonderpreis für Ausländer. So war das eben üblich. Bei unserer Ankunft hatte ich mich mit der Preis-Apartheid allerdings nicht mehr abfinden wollen. Meine Forderung nach gleichem Preis blieb ungehört, wütendes Geknurre über Verfassungsbruch und missachtete Gesetze hatten keine Wirkung, nicht einmal ein russischer Studentenausweis hätte mich dem Russenpreis näher gebracht.

 

Also verließen wir das "Lotos", ich ließ Anna mit dem Gepäck auf einer Parkbank an der Wolga zurück und wollte die Hotels der Umgebung schnell ablaufen. Groß war die Auswahl nicht. Ein Hotel in der Innenstadt war wegen Renovierung geschlossen, in dem anderen hatte Anna vor einigen Jahren einmal mit einer Freundin übernachtet — und miterlebt, wie Unbekannte nachts versuchten, von außen in ihr Zimmer einzusteigen. Blieb noch eine dritte Adresse in Laufweite. Auch direkt am Wolga-Ufer gelegen. Dennoch verlief ich mich in einer Siedlung aus heruntergekommenen Wohnblöcken.

 

"Wo geht es hier zum Hotel?" fragte ich schließlich zwei Jungen, die auf der staubigen Straße Fußball spielten. Die beiden waren sehr hilfsbereit und erklärten mir den Weg: "Hinter dem blauen Plattenbau nach rechts, an den brennenden Müllcontainern vorbei", sie zeigten auf die schwarze Rauchwolke am Straßenende. "Da ist es." Das Hotel gab es wirklich, es hatte noch nicht einmal einen Ausländertarif, weil sich wahrscheinlich kaum Ausländer an den brennenden Müllhaufen vorbei trauten. Irgendwie unpassend für eine Hochzeitsreise.

 

Es schien eine große Blamage zu werden: Eine Stunde, nachdem ich wutschnaubend mit stolzgeschwellter Brust aus dem "Lotos" gelaufen war, kamen wir mangels Ausweg zerknirscht wieder an die Rezeption zurück. Ich warf meinen Pass auf den Empfangstisch. "Eine einzige Nacht", sagte ich möglichst unfreundlich. "Morgen fahren wir in eine andere Stadt." Die Wolga sei schließlich lang genug. 

 

Dieser Satz zeigte unerwartete Wirkung. Mit lautem Rattern druckte die Empfangsfrau unsere Rechnung aus — und siehe da: auf einmal kostete unser Doppelzimmer nur noch den gewöhnlichen Inländerpreis. Wir hatten noch viel Gelegenheit, die Frühstücks-Würstchen auf der Dachterrasse zu genießen.

 

Kein Fahrkartenschalter am Bahnhof

 

In den Neunziger Jahren verschwanden langsam die diskriminierenden Ausländerpreise aus dem russischen Alltag. Bald gab es bei Flugtickets nur noch einen Preis für alle, die Hotels in großen Städten, vor allem die teuren, gewöhnten sich die Tarif-Apartheid ab. Andere Einrichtungen erwiesen sich als Bollwerke der alten Ordnung. Die Kreml-Museen und die Petersburger Eremitage verlangten von ausländischen Gästen zeitweise für eine Eintrittskarte das Zehnfache, was russische Gäste zu zahlten. Was Anfang der 90-er vielleicht noch seine Berechtigung haben mochte, wurde mit jedem Jahr immer skurriler.

 

Für Ausländer war es fast unmöglich, mit Russenticket die Eintrittskontrolle zu passieren. Die Kleidung, die Gesichtszüge, der Blick, die Art, in der der Fotoapparat um die Schulter gehängt wurde, es gab hundert Kleinigkeiten, die den Fremden verrieten, selbst wenn er gut Russisch sprach oder aber das Geld für die Russenkarte genau abgezählt auf den Kassentisch gelegt hatte. Freunde aus dem Westen, mit denen ich es dennoch versuchte, mussten sich vorher genauestens instruieren lassen. Wenn sie sich die Hemden artig in die Hosen steckten und auch ansonsten keine Fehler machten, schafften wir es manchmal. 

 

Bei der Eisenbahn dagegen waren alle Tricks von vorne herein verlorene Liebesmühe. Um den grassierenden Schwarzhandel mit Fahrscheinen zu bekämpfen, wurden Tickets seit Anfang der Neunziger Jahre nur noch gegen Vorlage des Passes verkauft, der Name wurde auf dem Ticket vermerkt. Beim Einsteigen in den Zug konnte der Schaffner die Papiere prüfen. Daher war es besonders ärgerlich, dass sich die Bahn nur langsam von der Sonderbehandlung für Ausländer trennte. Irgendwann wurden die Fahrpreise zwar angeglichen. Doch Fahrkarten an Ausländer wurden weiter nur an wenigen Sonderkassen verkauft, nicht aber an den normalen Schaltern. 

 

In Moskau war dieses System sogar teilweise von Vorteil. Am Platz der drei Bahnhöfe etwa, wo die Schlangen in den Sommermonaten ganz enorme Ausmaße annahmen, dauerte der Kartenkauf an der Ausländerkasse ein Stockwerk höher oft nur wenige Minuten. Anderswo waren die Verhältnisse nicht so angenehm. In der Millionenstadt Rostow am Don etwa konnte ein Ausländer am Hauptbahnhof überhaupt keine Tickets kaufen. Der einzige Schalter, wo das möglich war, befand sich in der Geschäftsstelle des einstigen sowjetischen Staatskonzerns "Intourist". Und die lag etwa fünf Kilometer vom Bahnhof entfernt, kaum jemand hätte sie ohne ortskundige Hilfe gefunden

 

Im Übrigen muss der Fairness halber angemerkt werden, dass die Ausländerpreise der Russen nicht den Gipfel des Unmöglichen darstellen. Wie in manchen anderen Situationen stellten die Ukrainer ihre "großen Brüder" noch in den Schatten. In den Kiewer Hotels gab es zur selben Zeit drei Preisgruppen: am wenigsten zahlten die Ukrainer selbst, Russen und Besucher aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken mussten etwas tiefer in die Tasche greifen und am meisten zahlten natürlich auch hier Kunden aus dem "Fernen Ausland" für die gleiche Leistung.

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