"Die Reise nach Ufa hatte ich nötig, weil dies eine der entlegensten und wohltuendsten Gegenden Russlands ist."
Leo Tolstoi (1828-1910), russischer Schriftsteller
Holzhäuser neben modernen Neubaten aus Stahl, Glas und Beton. Protzige Regierungsbauten am einen Flussufer, Wälder am anderen. Ufa, die Hauptstadt der russischen autonomen Teilrepublik Baschkirien (Baschkortostan) ist eine eigenartige Metropole. Ihre 1,1 Millionen Einwohner leben auf einer langgezogenen, von den Flüssen Belaja und Ufa begrenzten Halbinsel. Als Zentrum der petrochemischen Industrie zählt Ufa zu den wichtigsten Wirtschaftsstandorten der Russischen Föderation, Touristen kamen in der Vergangenheit eher selten dorthin. Dabei ist die 1.200 Kilometer östlich von Moskau gelegene Stadt am Westrand der Uralregion mehr als nur ein guter Startpunkt für Entdeckungstouren in den Bergen. Erst recht, seit die Baschkiren, ein mehrheitlich muslimisches Volk mit einer dem Türkischen ähnelnden Sprache, sich wieder stärker auf ihre kulturellen Wurzeln besinnen: In den Restaurants von Ufa steht Pferdefleisch oben auf der Speisekarte, und manche Andenkenverkäufer stellen ihre Ware mittlerweile in einer Jurte aus.
Die Baschkiren besiedelten den südlichen Teil der Uralberge bereits vor dem Beginn der russischen Expansion Richtung Sibirien. Eine baschkirische Siedlung am Standort der heutigen Millionenstadt existierte vermutlich bereits im Mittelalter. Die eigentliche Geschichte von Ufa beginnt aber erst mit dem Bau einer russischen Festung Mitte des 16. Jahrhunderts. Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt das Handelszentrum den Status einer Provinzhauptstadt, aus dieser Ära sind im Zentrum noch einige historische Straßenzüge erhalten, darunter weite Abschnitte der Lenin-Straße.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Industriebetriebe aus dem Westen der Sowjetunion und die Funktionäre der Kommunistischen Internationale aus Moskau nach Ufa evakuiert, in der Nachkriegszeit kamen etliche deutsche Kriegsgefangene in die Stadt. Ufa erlebte damals einen wirtschaftlichen Aufschwung, der allerdings auch mit erheblichen Umweltproblemen erkauft wurde.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Rolle der Stadt für die russische Kulturszene. Der weltbekannte Tänzer Rudolf Nurejew stammt ebenso aus Ufa wie der Geiger Wladimir Spiwakow und der russisch-amerikanische Schriftsteller Sergej Dowlatow. Mit Juri Schewtschuk, dem Gründer der Band DDT, und der Sängerin Semfira Ramasanowa haben zwei in Ufa geborene Künstler die russische Rockmusik der vergangenen Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt.
Ufa ist eine extrem langgestreckte Stadt, die sich von Südwesten nach Nordosten über fast 50 Kilometer ausbreitet. Die sowjetisch geprägten hässlichen Vororte im Nordosten sind allerdings kaum von Interesse für Besucher. Sehenswürdigkeiten, Restaurants und Einkaufsstraßen konzentrieren sich auf die Südwestspitze der Stadt.
Die Baschkiren-Hauptstadt macht alles in allem keinen unangenehmen Eindruck, zumindest ihr Zentrum kann sich sehen lassen: Es gibt viele Parks und Grünanlagen. Auffällig viele Menschen sind mit Fahrrädern unterwegs. Der Bereich am hoch aufragenden Ufer der Belaja wurde aufwändigen Verschönerungsmaßnahmen unterzogen, als Russland 2015 zwei internationale Gipfeltreffen der BRICS-Staaten und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Ufa ausrichtete.
Die Baschkiren, Titularnation der Autonomen Republik Baschkortostan, bilden heute nach Russen und Tataren in der Stadt nur die drittgrößte ethnische Gruppe. Dennoch sind alle öffentlichen Einrichtungen, Straßen und viele Geschäfte zweisprachig beschildert.
Ufa hat nur wenige echte Touristenattraktionen zu bieten, aber einen Ort sollte kein Besucher der Stadt verpassen: Hoch über dem Ufer der Belaja erinnert seit 1967 ein monumentales, knapp zehn Meter hohes Denkmal an Baschkiriens Nationalhelden Salawat Julajew. Angeblich handelt es sich um die größte Reiterstatue Europas. Der baschkirische Freiheitskämpfer gegen das Zarenregime (1752-1800) hatte sich dem Aufstand des Kosakenführers Jemeljan Pugatschow angeschlossen, machte sich einen Namen als militärischer Anführer und Dichter. Das Denkmal des Bildhauers Soslanbek Tawasijew dominiert die Silhouette der Stadt. Vom Fuß des Monuments bietet sich eine eindrucksvolle Aussicht auf die Umgebung von Ufa. Vom Stadtzentrum aus führt der Weg zum Denkmal durch einen Park mit Springbrunnen, Snackbuden und Souvenirständen.
Bereits zu Zarenzeiten wurde Ufa zu einem Zentrum des Islam im Russischen Reich. In der Stadt hat die bereits unter Katharina der Großen gegründete "Zentrale Geistliche Verwaltung der Muslime Russlands" (ZDUM) ihren Sitz, die für alle muslimischen Untertanen des Zaren außerhalb des Kaukasus und der heute unabhängigen Staaten Mittelasiens zuständig war. Die Behörden genehmigten den muslimischen Baschkiren Anfang des 19. Jahrhunderts den Bau einer Moschee. Das Gotteshaus wurde später umgebaut und als "Erste Hauptmoschee von Ufa" zu einem der wichtigsten islamischen Zentren Russlands. Als nach der Oktoberrevolution nach der orthodoxen Kirche auch der Islam immer stärker unter Druck geriet war die "erste Moschee" von Ufa die einzige in der Stadt, die nie geschlossen und zweckentfremdet wurde. In direkter Nachbarschaft befindet sich noch immer die Verwaltung der ZDUM.
"Asyk-Tulek" ("Азык-Тулек") ist der baschkirische Begriff für Lebensmittel, der in Leuchtbuchstaben über dem Eingang vieler Läden zu lesen ist. "Lebensmittel" ist aber auch der Name eines Restaurants am Südende der Karl-Marx-Straße (Uliza Karla Marksa 3B), in dem baschkirische Küche vom Feinsten serviert wird. Wir sind bei unserem Stadtbummel zufällig dort vorbeigekommen und waren begeistert von der Mischung aus innovativer Kochkunst und traditionellen Rezepten der Baschkiren. Warnung: Für Pferdeliebhaber ist das Restaurant nur bedingt zu empfehlen, denn Pferdefleisch ist ein wichtiger Bestandteil der baschkirischen Küche. Woraus beispielsweise die regionale Variante des Hamburgers - der "Baschburger" - besteht, dürfte wohl jedem klar sein. Die Preise im "Asyk-Tulek" liegen über dem ortsüblichen Niveau, aber unsere Gerichte waren ihr Geld allemal wert. (kp)