"Das Märchen hat sich mit dem Leben verwoben, und er trauert manchmal unbewusst darum, dass das Märchen nicht das Leben und das Leben kein Märchen ist."
Iwan Gontscharow (1812-1891), in "Oblomow"
Sommerurlaub ist vermutlich das falsche Wort, um unsere über dreiwöchige Reise im Juli und August 2024 zu beschreiben. "Odyssee" trifft es besser. Vom Party-Hotspot des Baltikums und einem vom Eisernen Vorhang zerschnittenen Naturwunder an der Ostsee führte der Weg zu russischen Freunden und Verwandten, bis zum Moskauer Kreml und an die breite Wolga - mit vier Flügen, einer Fährpassage, mit Eisenbahn, Linienbus, Taxi und einem Fußmarsch über die Grenze. Die Realitäten des neuen Kalten Krieges zwangen uns wieder groteske Umwege auf - dieses Mal bis nach Afrika. Dennoch gilt: Auch in der aktuellen Situation sind Besuche in Russland grundsätzlich weiter möglich, wenn man bereit ist, einige Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen.
Das politische Establishment in Brüssel und Berlin war empört: Ungarns umtriebiger Ministerpräsident Viktor Orbán sorgte im Juli mit seiner selbst initiierten Friedensmission für so viel Ärger, dass die EU-Kommission einen geplanten Besuch in Budapest absagte. Das neu gewählte EU-Parlament verurteilte die diplomatischen Bemühungen der Ungarn sogar mit großer Mehrheit. Der Versuch, mit Pendeldiplomatie einen Waffenstillstand für die Ukraine näherzubringen, rüttelt am Mantra vom unausweichlichen militärischen Sieg über Russland. Seit den - auch dank des westlichen Störfeuers - gescheiterten Verhandlungen von Istanbul (Bericht z.B. Telepolis) hat es keine ernsthaften diplomatischen Bemühungen mehr gegeben. Könnte sich das bald ändern?
Jahrhunderte lang war Königsberg wirtschaftliches und politisches Zentrum des deutschsprachigen Ostens. Die Heimatstadt des großen Philosophen Immanuel Kant galt als eine der schönsten Städte im Ostseeraum. Alles änderte sich mit dem Zweiten Weltkrieg, als die Rote Armee die Trümmer der zerbombten Preußenresidenz eroberte und Königsberg mitsamt dem nördlichen Ostpreußen an die Sowjetunion fiel. Umbenannt zu Ehren des Sowjetfunktionärs Michail Kalinin verschwand Kaliningrad für Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang und wurde als sozialistische Stadt wieder aufgebaut. Doch Besucher finden an den Ufern des Pregels und in den einstigen Vororten noch immer erstaunlich viele Erinnerungen an die Vorkriegszeit.
Viele Leute interessieren sich für Russland. Nur wenige Deutsche waren schon einmal dort. Einige würden das rätselhafte Riesenland im Osten gerne kennenlernen, sie wissen aber nicht,
wie sie das am besten anstellen. Und was sie dort erwartet. Für solche Neugierigen war dieser Reiseblog gedacht. Gewissermaßen wie ein Kanal, der Rhein und Wolga verbindet.
Dann begann der Krieg, und auch im Internet gilt: À la guerre comme à la guerre bzw. на войне как на войне. Nach Reisen ist momentan vielen nicht mehr zumute.
Daher ist auch dieser Blog gerade ein ganzes Stück politischer, als das einmal geplant war.