"Unvergesslicher April – Twerskaja, Du bist die Wiege unserer Jugend!"
Marina Zwetajewa (1891-1941), russische Dichterin, in "Twerskaja", deutsche Übersetzung von Josef Maria Mayer
Unter den wichtigsten Straßen in Russlands Hauptstadt Moskau ist sie wahrscheinlich die wichtigste: Die 1,6 Kilometer lange Uliza Twerskaja führt vom Moskauer Kreml aus in nordwestliche Richtung. Wer ihr folgen und immer weiter geradeaus fahren würde, käme irgendwann bis nach Twer und später bis nach Sankt Petersburg. Schon zu vorrevolutionären Zeiten lebten hier viele wichtige Persönlichkeiten, prächtige Bauten säumten die Straße zu beiden Seiten. Nach der Revolution änderte sich das Straßenbild durch zahlreiche repräsentative Neubauten - und um die Straße zu verbreitern, wurden sogar ganze Häuser verschoben. Wer vom Sowjetstaat hier eine Wohnung zugewiesen bekam, hatte es in der sozialistischen Gesellschaft zu höchsten Ehren gebracht. Davon zeugen unzählige Gedenktafeln an den Fassaden.
Die Uliza Twerskaja nimmt ihren Anfang am Manegeplatz, von wo nur wenige Schritte zwischen Twerskaja, Kreml und dem Roten Platz liegen. Ältere Moskauer nennen sie manchmal noch immer Gorki-Straße - nach ihrem offiziellen Namen in den Jahren zwischen 1932 und 1990. Entlang der Straße bis zu ihrem Endpunkt am Triumph-Platz (zu Sowjetzeiten: Majakowski-Platz) gibt es jede Menge zu sehen - und viele teure Läden zum Geldausgeben. Allerdings sind die sowjetischen Stadtplaner bei der Neuplanung des Stadtbildes brutal zu Werke gegangen. Die meisten alten Häuser und alle ehemals fünf Kirchen an der Straße fielen den visionären Neubauten der Sowjets zum Opfer.
Den imposanten Auftakt der Twerskaja bilden das Luxus-Hotel "National" von 1902 und die Seitenfassade des Staatsduma-Gebäudes. Auf der ungeraden Straßenseite wurde nach der Revolution außerdem das zentrale Moskauer Telegrafenamt im Stil des Konstruktivismus erbaut. Das Meisterwerk des Architekten Iwan Rerberg ist vor allem für sein Sowjetwappen mit dem leuchtenden, beweglichen Globus bekannt.
Auf der selben Straßenseite blieb der prächtige Palast des Moskauer Generalgouverneurs erhalten - heute befindet sich darin ein Teil der Moskauer Stadtverwaltung. Gegenüber vom Bürgermeisteramt
steht ein Denkmal, das an Stadtgründer Juri "Langfinger" Dolgoruki erinnert. Kurz hinter dem Monument befand sich einst das Hotel "Lux", in dem die Sowjetführung
ausländische Kommunisten einquartierte, darunter Leute wie Walter Ulbricht oder Herbert Wehner. Unter dem Namen "Zentralnaja" befand sich hier später lange das billigste Hotel im Moskauer
Zentrum, seit einigen Jahren wird der Bau saniert.
Ebenfalls auf der geraden Straßenseite lohnt das prächtig gestaltete Feinkostgeschäft "Jelisejewski" einen Blick, selbst, wenn man gar nichts kaufen will. Die Preise dort haben es in sich,
aber den meisten Leuten, die an der Twerskaja wohnen, ist das inzwischen vermutlich egal.
Der Puschkin-Platz mit dem Denkmal für Russlands Nationaldichter teilt die Twerskaja-Straße in zwei Hälften. Dieser Platz, an dem der Moskauer Boulevardring die Straße kreuzt, war zu Sowjetzeiten
traditioneller Treffpunkt für verliebte Pärchen, inzwischen versammelt sich hier regelmäßig auch die Opposition zu ihren Kundgebungen.
Weiter stadtauswärts gibt es auf der ungeraden Seite einen alten Adelspalast, in dem sich heute das Museum für Zeitgeschichte befindet. Die Twerskaja endet am Triumph-Platz, dem
Schnittpunkt der Ausfallstraße mit dem Gartenring, der vor einigen Jahren spektakulär umgestaltet wurde: Autos wurden von dem Platz verbannt und für Moskowiter und Touristen
stattdessen Schaukeln aufgestellt.
Unter der Twerskaja-Straße verläuft die grüne Linie der Moskauer Metro mit den drei Stationen Majakowskaja, Twerskaja
und Teatralnaja, so dass niemand unbedingt die Straße zwei ablaufen muss. Außerdem verkehren natürlich verschiedene Busse, die aber oft im Stau steckenbleiben. Überhaupt ist der
Verkehr auf der vielspurigen Straße für Fußgänger eine wirkliche Zumutung.
An Cafés und Restaurants herrscht inzwischen hier kein Mangel mehr. Wer will, kann wenige Meter vom Puschkin-Platz entfernt an einem besonders makaberen Ort einkehren: Hier
wurde 1990 die erste McDonald`s-Filiale der Sowjetunion eröffnet (zeitweise war es die größte der Welt), vor deren Türen die Russen in der Anfangszeit stundenlang Schlange standen,
um einen pappigen Hamburger zu kaufen.