"Der Krieg ist darin schlimm, dass er mehr böse Menschen macht, als er deren weg nimmt."
Immanuel Kant (1724-1804), deutscher Philosoph aus Königsberg
Jahrhunderte lang war Königsberg wirtschaftliches und politisches Zentrum des deutschsprachigen Ostens. Die Heimatstadt des großen Philosophen Immanuel Kant galt als eine der schönsten Städte im Ostseeraum. Alles änderte sich mit dem Zweiten Weltkrieg, als die Rote Armee die Trümmer der zerbombten Preußenresidenz eroberte und Königsberg mitsamt dem nördlichen Ostpreußen an die Sowjetunion fiel. Umbenannt zu Ehren des Sowjetfunktionärs Michail Kalinin verschwand Kaliningrad für Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang und wurde als sozialistische Stadt wieder aufgebaut. Zwar ist vom alten Stadtzentrum so gut wie nichts mehr erhalten, doch Besucher finden an den Ufern des Pregels und in den einstigen Vororten noch immer erstaunlich viele Erinnerungen an die Vorkriegszeit. Weil die deutsche Vergangenheit auch kein Tabu mehr ist, lohnt sich eine Bekanntschaft mit diesem kuriosen Ort noch immer oder vielleicht mehr denn je.
Kaliningrad/Königsberg blickt auf eine über 700-jährige, reiche Geschichte zurück. Am Anfang der Stadtgeschichte steht die Gründung einer Ordensburg am Pregel. Im 14. Jahrhundert wurde die Stadt
Mitglied der Hanse. Die im 16. Jahrhundert gegründete Universität Albertina machte Königsberg zu Lebzeiten des Philosophen Immanuel Kant zu einem Zentrum der Aufklärung von internationalem Rang.
Als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum von Ostpreußen gab es intensive Kontakte zu den östlichen Nachbarvölkern. Die Geschichte des alten Königsbergs endete jedoch abrupt mit der
Eroberung durch die sowjetische Rote Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.
1946 ließ Sowjetdiktator Stalin alle überlebenden deutschen Einwohner, die nicht bereits geflohen waren, vertreiben. Königsberg wurde zu Kaliningrad, mit Menschen aus allen Teilen der UdSSR
neu besiedelt und ohne Rücksicht auf das historische Stadtbild wieder aufgebaut. Bauten wie das Königsberger Schloss, die den Feuersturm des Krieges überstanden hatten, wurden als Erbe des
"preußischen Militarismus" abgerissen. Breite Schnellstraßen, große Freiflächen und endlose Plattenbauten dominieren noch heute weite Teile des einstigen Stadtzentrums. Als Gipfel der
Geschmacklosigkeit überragte lange Jahre die Bauruine des "Hauses der Sowjets" das einstige Herz von Königsberg.
Ausländer durften die Region jahrzehntelang nicht betreten. Erst seit 1991 konnten die ehemaligen Ostpreußen ihre alte Heimat wieder besuchen. Inzwischen ist das
Gebiet Kaliningrad mit seiner Verwaltungshauptstadt als russische Exklave wieder ein wenig abgeschnitten vom Rest des Kontinents und gleichermaßen vom Rest Russlands - die Bewohner sind
umgeben von den Nato-Staaten Polen und Litauen und gewissermaßen eingemauert durch den neuen Eisernen Vorhang.
Allerdings hat sich die Stadt trotz aller Probleme durch die "Insellage" in den zurückliegenden Jahren ein ganzes Stück weit herausgeputzt. Kaliningrad ist längst nicht mehr so trist wie
in den 1990er Jahren und kann Besucher problemlos mehrere Tage lang in Atem halten. Die nach dem Krieg bewusst geleugnete und ignorierte deutsche Vergangenheit der Stadt ist heute
wieder etwas, womit sich die modernen Bewohner von Kaliningrad bewusst beschäftigen. Die hiesige Universität ist nach Kant benannt, es wird wieder Königsberger Marzipan hergestellt und der
Bernstein als Symbol Ostpreußens war zu jeder Zeit ohnehin ein zentrales Element des Stadtmarketings.
Der mittelalterliche Backstein-Dom ist zweifellos das imposanteste Zeugnis der langen deutschen Geschichte von Königsberg. Er ist heute das einzige Bauwerk auf der einst dicht bebauten, von den Armen des Pregels umfassten Kneiphof-Insel. Der Dom war nach der Reformation evangelisch geworden und diente auch als Universitätskirche. Nach 1945 lag auch die Kathedrale größtenteils in Trümmern, an einem Wiederaufbau hatten die sowjetischen Behörden kein Interesse.
Allerdings hatte an der Nordost-Seite der Kirche auf wundersame Weise das Grab des auch von den Sowjets verehrten Kant den Krieg nahezu unbeschadet überstanden, so dass die Parteifunktionäre sich nie dazu durchringen konnten, die Ruine ganz abzureißen.
In den Jahren nach 1993 begann dann endlich der Wiederaufbau des Doms, der wieder ein Dach und eine Turmspitze erhielt. Auch die Innenausstattung mitsamt der größten Kirchenorgel der Russischen Föderation wurde wieder hergestellt. Heute wird der imposante Bau überwiegend für kulturelle Veranstaltungen und Orgelkonzerte genutzt. Aber der kleinen evangelisch-lutherischen Kirche Russlands wurde eine Seitenkapelle überlassen.
Auch, wenn es anfangs nicht den Anschein hat: Wer sich einen Tag Zeit nimmt für eine Spurensuche im einstigen Königsberg, findet auf Schritt und Tritt Überreste der alten Zeit. Da wären beispielsweise die beiden Bahnhöfe, die den Krieg überstanden. Der 1929 eröffnete Hauptbahnhof (heute Kaliningrad Juschny) mit seiner riesigen überdachten Bahnhofshalle wird noch heute genutzt, ist für den spärlichen Rest an Zugverkehr allerdings sehr überdimensioniert. Über die gesamte Innenstadt verteilt sind gut erhaltene Reste der ehemaligen Königsberger Stadtbefestigung aus dem 19. Jahrhundert mit Türmen und Toren. In einem davon, dem Dohna-Turm, befindet sich heute das sehenswerte Bernsteinmuseum.
Auch das heutige Geschäftszentrum von Kaliningrad - die Gegend um den ehemaligen Hansaplatz (heute Platz des Sieges, Ploschschad Pobedy) lohnt einen Abstecher. Hier verschmelzen die Reste des alten Vorkriegs-Königsbergs mit Bauten aus der Sowjetzeiten und dem Nachwende-Russland, überragt von der großen orthodoxe Christi-Erlöser-Kathedrale, zu einer ganz eigentümlichen Symbiose. Mit dem Museum der Weltmeere am Pregel hat Kaliningrad seit einigen Jahren eine weitere Attraktion von überregionaler Bedeutung. Östlich des Doms entstand in den Jahren um 2010 mit dem etwas kitschig-deutschtümelnden "Fischdorf" ein Quartal mit Neubauten, deren Architektur an das untergegangene Königsberg erinnern soll.
Kaliningrad liegt dichter an Berlin als an Moskau, ist aufgrund der westlichen Sanktionen aber weitgehend von der EU abgeschnitten. Der nach der Wende wiederaufgenommene Zugverkehr nach
Polen und Deutschland war sogar bereits um 2010 wieder komplett eingestellt worden. Aktuell verbinden einzig Linienbusse Kaliningrad mit Danzig, Warschau oder auch direkt über
Nacht mit Städten in der Bundesrepublik. Eine Fahrt auf der am häufigsten angebotenen Verbindung nach Danzig kostet rund 40 Euro. Außerdem gibt es zahlreiche private
Transportunternehmen, die Fahrten im Kleinbus zwischen Deutschland und der westlichsten Großstadt Russlands anbieten und die ihre Passagiere teilweise von Tür zu Tür chauffieren.
Zwischen dem rund 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Flughafen Chrabrowo und Zielen in der Europäischen Union gibt es keinerlei Verkehr, allerdings ein großes Angebot an
Inlandsflügen.
Die Bedeutung der Stadt für Russland-Reisende hat daher durch die Sanktionen zuletzt eher noch zugenommen, da viele Menschen auf dem Weg zwischen EU-Ländern und Städten wie Moskau
oder St. Petersburg die vergleichsweise günstige und schnelle Route über Kaliningrad wählen. Seit viele EU-Staaten kollektive Reiseverbote gegen alle oder nahezu alle Russen
verhängt haben, wird die Stadt auch zu einem zunehmend beliebten Treffpunkt für zwischen Ost und West geteilte Familien. Dies und die wachsende Popularität der Region bei Inlandsurlaubern
führt dazu, dass Flüge von und nach Kaliningrad in der Hauptferienzeit inzwischen auch bereits ein kleines Vermögen kosten können. Gab es im Winter 2024 während unserer Reise problemlos Einfach-Tickets von Moskau nach Kaliningrad für umgerechnet 50 Euro, so waren im Sommer 2024 bereits 150 bis 200 Euro für die selbe
Strecke fällig.
Die wenigen Korridorzüge, die ohne Zwischenstopp in Litauen das Gebiet Kaliningrad mit dem russischen Kernland verbinden, dürfen aktuell (Stand Sommer 2024) nur von russischen oder weißrussischen
Staatsbürgern benutzt werden.
In Kaliningrad gibt es inzwischen eine Vielzahl an Hotels und auch das gastronomische Angebot braucht keinen Vergleich mehr zu scheuen. Gute Erfahrungen haben wir mit dem Hotel
"Marton Palace" gemacht, dessen vier Sterne vielleicht etwas hoch gegriffen sind, aber das auf jeden Fall eine gute Adresse ist. Zwar ist das Interieur inzwischen ein wenig die Jahre
gekommen, aber geräumige Zimmer und ein reichhaltiges Frühstücksbuffet zu günstigen Preisen sind Pluspunkte. Bis zum Bahnhof und dem zentralen Busbahnhof sind es nur wenige Minuten zu Fuß.
Mit Blick auf den zentralen Siegesplatz lässt es sich im georgischen Restaurant "Satschmeli" ganz hervorragend speisen - ebenfalls zu Preisen, die unter denen in Moskau liegen.
Das große, gut besuchte Lokal befindet sich im Einkaufszentrum "Europa" (Ulitsa Teatralnaja 30), hier gibt es alle Köstlichkeiten der georgischen Küche.
Wer lieber in einem Lokal mit europäisch-deutscher Küche einkehrt, kann es auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei "Kaiser Wurst" versuchen.
kp, aufgeschrieben im Juli 2024