Tief versteckt in den Bergen des Großen Kaukasus liegt einer der landschaftlich schönsten Ferienorte der Region - Archys. Von allen Seiten überragen bis zu 3.600 Meter hohe Gipfel das kleine Dorf im Süden der Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien. Die russische Regierung hat große Pläne mit dem verschlafenen Nest und will in der Gegend ein Skisport-Zentrum ersten Ranges etablieren. Vor allem Bergwanderer können hier auf ihre Kosten kommen - wenn sie sich auf den Besuch vorbereiten. Wer sich für die Geschichte der Kaukasus-Region interessiert, findet ganz in der Nähe von Archys spektakuläre Überreste eines untergegangenen mittelalterlichen Königreichs. Und in einem der Gästehäuser des Ortes wurde 1990 Weltgeschichte geschrieben.
Das Dorf Archys wurde erst 1922 gegründet und hat deshalb keine Sehenswürdigkeiten zu bieten. Wer hierher kommt, will die Berge sehen und erwandern. Archys liegt am Ende einer gut ausgebauten Chaussee, die von Norden her durch das Tal des Großen Selentschukl bis in die Berge führt - auf 1470 Meter Höhe über dem Meeresspiegel. Wer kein eigenes Auto besitzt und nicht mit dem Taxi kommt, muss von den nächstgelegenen Bahnhöfen wie Kislowodsk umständlich mit dem Sammeltaxi anreisen und dabei in der Regel in Karatschajewsk umsteigen.
Leider ist die abgelegene Lage nicht das einzige Problem: Von Archys aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Grenze, die Russland und die von Georgien abgespaltene Republik
Abchasien voneinander trennt. Ein Besuch des eher unspektakulären Dorfs und seiner direkten Umgebung ist zwar kein Problem. Aber wer in der Wildnis auf Treckingtour gehen will,
braucht höchstwahrscheinlich einen Passierschein des Inlandsgeheimdienstes FSB für einen Besuch im Grenzgebiet. Für den Papierkram sollten Reisende ein örtliches Reisebüro
kontaktieren und entsprechende Bearbeitungszeit einplanen (bis zu 30 Tage). Auch die beliebtesten Zielen in der Umgebung von Archys - die Sofien-Wasserfälle und Sofien-Seen unterhalb des
Sofia-Bergs - liegen sehr nahe an der Grenze. Bei unserem Besuch im April war der Weg dorthin aber ohnehin noch nicht passierbar.
In Archys gibt es eine Menge einfacher Unterkünfte und einige Hotels, außerdem Cafés und Lebensmittelläden. Auch ein Ausritt mit Pferden lässt sich vor Ort problemlos organisieren.
Die rund 500 Menschen im Ort gehören mehrheitlich der muslimischen Volksgruppe der Karatschaier an, dennoch spricht jedermann hier Russisch, eventuell helfen auch
Türkisch-Kenntnisse bei der Verständigung mit den Einheimischen.
Hierher in die Kaukasusberge hatte der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl nach dem Fall der Berliner Mauer eingeladen, um über die
Zukunft Deutschlands zu verhandeln. Nach dem Strickjacken-Treffen im Kaukasus stimmte die Sowjetunion bekanntlich der Wiedervereinigung zu.
Etwa 15 Straßenkilometer talwärts von Archys liegen etwas versteckt die spektakulären Überreste von Maas (oder Magas), der frühmittelalterlichen Hauptstadt des Alanenreichs. Das
christliche Königreich herrschte im 10. und 11. Jahrhundert über weite Teile der Nordkaukasus-Region. Interne Konflikte, die Angriffe der Mongolen und Pestepidemien führten zum Untergang der
Alanen. In ihrer einstigen Hauptstadt am Selentschuk-Fluss sind drei alte Kirchen im byzantinischen Stil aus der Zeit vor 1000 erhalten geblieben. Dabei handelt es sich nach den Angaben
vieler Reiseführer um die ältesten erhaltenen christlichen Sakralbauten in ganz Russland (nur auf der Krim gibt es noch ältere Kirchen).
Die Kirchen können besichtigt werden, allerdings ist von der alten Innenausstattung nichts mehr übrig geblieben. Die südliche Kirche erhielt im Zuge von Renovierungsarbeiten im 19.
Jahrhundert außerdem einen typisch russischen Zwiebelturm, der reichlich deplatziert wirkt. Auf dem weitflächigen Gelände ringsum finden immer wieder archäologische Grabungen statt.
Direkt an der zentralen Straße von Archys liegt ein im Country-Stil eingerichtetes Lokal namens "Chischina" ("Hütte"), in dem sehr leckere Gerichte aus der Küche der Karatschaier serviert werden. Es gibt - wie überall im Kaukasus üblich - viel gegrilltes Fleisch und eine Reihe von Gerichten mit schwer auszusprechenden Namen, in denen alle Bestandteile von Hammeln und Rindern zubereitet werden. Wem dies alles zu exotisch ist, der bekommt hier auch die Klassiker der sowjetisch-russischen Gastronomie wie "Chicken Kiew" - und alles zu sehr fairen Preisen.