"Jeder Mensch braucht wenigstens von Zeit zu Zeit ein Fest. Ohne geht es einfach nicht."
Boris Akunin, russischer Krimi-Autor (1956- )
In Russland wird gern und leidenschaftlich gefeiert. Viele russische Feiertage erscheinen für Besucher aus dem Westen zunächst etwas fremdartig, es vermischen sich altrussische, orthodoxe und kommunistische Traditionen. Neben landesweiten arbeitsfreien Feiertagen gibt es auch unzählige rote Daten im Kalender, die nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen von Bedeutung sind. So hat fast jeder Beruf seinen eigenen professionellen Festtag, der im Kollegenkreis begangen wird, sei es der "Tag des Eisenbahners" oder der "Tag des Geologen". Der Rhein-Wolga-Kanal sorgt für den Durchblick:
Silvester und Neujahr sind das russische Familienfest schlechthin. Viele Dinge, die für Deutsche zu Weihnachten dazugehören, sind in Russland Teil der
Neujahrsfeierlichkeiten: Tannenbaum, Geschenke und der russische Weihnachtsmann, Väterchen Frost, mitsamt seiner reizenden Enkelin, dem Schneefräulein
"Snegurotschka". Weil die orthodoxe Kirche sich der Kalenderreform nach der Oktoberrevolution verweigerte und am alten Julianischen Kalender festhält, fällt das russisch-orthodoxe
Weihnachtsfest auf die Nacht vom 6. zum 7. Januar - Pech für fromme Russen, dass das traditionelle Neujahrsgelage deshalb für sie mitten in einer strengen Fastenzeit
stattfindet.
Die Tage vom 1. bis zum 5. Januar sind in Russland offiziell arbeitsfrei, der erste Weihnachtsfeiertag am 7. Januar ebenso. Faktisch kommt das
öffentliche Leben im Land mindestens bis zum 10. Januar fast komplett zum Erliegen. Noch vor einigen Jahren stellten sogar die landesweit führenden Internetmedien die Nachrichtenproduktion
in der ersten Januarwoche vollständig ein. Behörden sind ebenfalls nicht zu erreichen. Im Land selbst ist diese Anhäufung freier Tage höchst umstritten.
Russische Kinder verkleiden sich übrigens zu Neujahr auch gerne einmal. Eine russisch-sowjetische Besonderheit sind auch die großen Silvester-Kinderfeste in den Tagen rund
um den Jahreswechsel, die häufig mit großem Aufwand von Kommunen, Betrieben oder Vereinen vorbereitet werden. Eintrittskarten zu den zentralen "Tannenbaum"-Festen, etwa dem im Moskauer
Kremlpalast, kosten ein kleines Vermögen und sind lange im Voraus ausgebucht.
Wer nach all dem Feiern noch immer nicht wieder in den Alltag zurückkehren will, setzt die Feierei (und Völlerei) noch munter bis zur Nacht vom 13. auf den 14. Januar fort. Dann begehen viele
Russen das "Alte Neue Jahr", also den Jahreswechsel nach dem vorrevolutionären Julianischen Kalender. Vor diesem Termin würde auch kein Russe seinen Weihnachts- bzw.
Silvesterbaum entsorgen.
Der Feiertag mit dem martialischen Namen ist in Russland seit 2002 arbeitsfrei. Er erinnert eigentlich an die Gründung der Roten Armee im russischen Bürgerkrieg und war
entsprechend zu Sowjetzeiten als "Tag der Roten Armee und der Kriegsmarine" bekannt.
Seit Generationen ist dieses Datum für Russen auch der inoffizielle Vatertag, ganz egal, ob sie jemals ihr Vaterland verteidigt haben oder nicht. Pazifistisch gesonnenen
russischen Vätern ist der Tag ein Graus, aber sie wissen meistens nicht, dass die deutsche Lösung - Christi Himmelfahrt - ja nun auch nicht gerade ideal ist.
Was dem Rheinländer der Karneval oder die Fastnacht, ist dem Russen seine "Masleniza", die "Butterwoche". Das traditionelle Fest dauert sieben Tage lang, bei denen der meist noch deutlich sichtbare Winter durch Verbrennen von Strohpuppen symbolisch außer Landes gejagt wird, die Menschen sich gegenseitig besuchen, durch Straßenfeste bummeln und Unmengen Pfannkuchen vertilgen. Wer es genau nimmt, folgt einer genau festgelegten Dramaturgie: Es gibt einen Tag, an dem die Schwiegermutter den Schwiegersohn einlädt, und einen Tag für den Gegenbesuch. Am Sonntag, dem letzten Tag der Butterwoche, bitten Angehörige gegenseitig um Verzeihung für die Kränkungen der vergangenen Monate und geloben Besserung. Im Anschluss beginnt für orthodoxe Christen die Fastenzeit bis Ostern.
Vor einigen Jahren hatte die Moskauer Stadtregierung hochtrabende Pläne und erklärte, die Moskauer Butterwoche werde schon bald auf der ganzen Welt in einem Atemzug mit dem Karneval von Rio genannt werden. Das war, mit Verlaub, etwas größenwahnsinnig, aber nett ist es in diesen Tagen schon in Russland.
Der 8. März ist einer der wichtigsten Feiertage in vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion geblieben und in Russland arbeitsfrei. Ihn bzw. das obligatorische Geschenk für Ehefrau, Freundin, Geliebte oder Kolleginnen zu vergessen, ist so ziemlich das dümmste Fettnäpfchen, in die ein Mann hineintreten kann. Allerdings ist ein solcher Fauxpas ziemlich unwahrscheinlich, weil zumindest in den Städten praktisch jeder auf der Straße mit Blumen in der Hand unterwegs ist - obwohl die Preise der Händler jedes Jahr um diesen Termin herum unverschämte Höchstwerte erreichen. Blumen und Süßigkeiten sind trotzdem das Mindeste. So, wie der Tag in Russland begangen wird, hat das kaum noch einen Bezug zum Gedanken der Emanzipation, aber das ist den Menschen beiderlei Geschlechts irgendwie egal.
Das Osterfest ist in der orthodoxen Tradition eigentlich wichtiger als Weihnachten. In allen Kirchen des Landes finden feierliche Osternacht-Gottesdienste statt. Der Ostertermin fällt auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond (nach Julianischem Kalender). Manchmal ist das der selbe Tag wie in Westeuropa, manchmal liegen aber auch fünf Wochen zwischen West- und Ost-Ostern. Im Vorfeld stellt eine lange strenge Fastenzeit die Gläubigen auf die Probe. Am Ostersonntag darf es endlich wieder jede Menge Leckereien geben, darunter die typisch russischen Osterkuchen, Kulitsch genannt. Einen arbeitsfreien Ostermontag gibt es in Russland nicht. Die Tradition, Ostereier zu verstecken, damit die lieben Kinder sie anschließend suchen, ist ebenfalls unbekannt.
Der 1. Mai als Tag der Arbeit war zu Sowjetzeiten so wichtig, dass stets auch gleich noch am 2. Mai nicht gearbeitet wurde. Außerdem mussten sich die Werktätigen ja
noch von den Massenaufmärschen erholen. Noch immer organisieren Gewerkschaften große Demonstrationen in vielen Städten, seine einstige Bedeutung hat der Tag aber verloren.
Anders sieht das eine Woche später beim "Tag des Sieges" über Hitler-Deutschland aus. Die wenigen überlebenden Kriegsveteranen gehen dann mit ihren klimpernden Orden durch
die Straßen und bekommen Blumen geschenkt. Auf dem Roten Platz in Moskau lässt die Staatsführung zur traditionellen Militärparade
moderne Waffentechnik aufrollen und Eliteeinheiten im Stechschritt marschieren.
Im Juni begeht die Russische Föderation ihren wohl rätselhaftesten arbeitsfreien Feiertag - den "Tag Russlands". Eingeführt wurde der Gedenktag in den Jelzin-Jahren als "Tag der Annahme der
Deklaration über die staatliche Souveränität der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik". De facto feiert Russland an diesem Tag seine Unabhängigkeit von der
Sowjetunion, also irgendwie von sich selbst.
Was das soll, verstehen auch die meisten Russen nicht, der Rhein-Wolga-Kanal kennt zumindest keinen einzigen, der in diesem Feiertag einen anderen Sinn sieht als den, auf der Datsche das
Gemüse zu gießen. 1991, genau ein Jahr nach der Souveränitätserklärung, wurde übrigens Boris Jelzin ebenfalls am 12. Juni erstmals zum Präsidenten gewählt. Was wohl noch weniger Russen für
einen Grund zum Feiern halten.
Seit den 1930-er Jahren galt in der gesamten Sowjetunion die Regel, dass das neue Schuljahr in allen Schulen des Riesenlandes am 1. September beginnt. In Russland gilt das bis heute. Der erste Schultag nach den langen Sommerferien wird an allen Schulen recht feierlich begangen und mit einer Glocke eingeläutet. Alle putzen sich ordentlich heraus, viele Jungen tragen Anzug, Mädchen oft eine riesige Haarschleife. Lehrerinnen und Lehrer bekommen Geschenke überreicht, und alles ist sehr offiziell.
Der Tag der Einheit des Volkes erinnert an die Befreiung Moskaus durch ein russisches Volksheer von polnisch-litauischen Besatzungstruppen im Jahr 1613. Der erst
2005 eingeführte arbeitsfreie Gedenktag ist gewissermaßen ein Ersatz für den Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November, der seitdem nicht mehr rot im Kalender steht.
Von der Einheit des Volkes war am 4. November in der Vergangenheit leider nicht allzu viel zu spüren. Neben allerlei staatstragenden Versammlungen wurde der Tag auch zum Lieblingstermin für
Demonstrationen russischer Monarchisten, Ultranationalisten und anderer rechter Kräfte.
Aktualisiert im Februar 2018. (kp)