Kosatscha Lopan (September 2004). Es war eine fürchterliche Nacht gewesen in dem Schlafwagenabteil der ukrainischen Eisenbahn. An dem mindestens 30 Jahre alten Waggon war alles kaputt, was kaputt gehen konnte, das Licht funktionierte nicht, das Abteil ließ sich zwar von innen verriegeln, aber anschließend nur von außen mit Hilfe des Schlafwagenschaffners wieder öffnen. Eine Heizung gab es nicht in dem Zug, obwohl es in der Nacht schon bitter kalt geworden war.
Immerhin — die Nacht war kurz gewesen, denn am frühen Morgen passierten wir die ukrainisch-russische Grenze. Die ukrainischen Grenzer blätterten interessiert in meinem Pass. Und witterten wohl sofort die Chance auf ein Geschäft. "Es gibt da ein Problem mit Ihren Dokumenten", sagte mir ein Uniformierter.
Konsulat warnt: Schreiben im Urlaub ist illegal
Im Jahr 2004 galt in der Ukraine noch die Visumpflicht für Deutsche. Schon auf dem ukrainischen Konsulat in Moskau wurde mein Antrag misstrauisch begutachtet. "Ein Journalist?" fragte der Schalterbeamte missmutig. "Und Sie wollen wirklich ein Touristenvisum beantragen?" Immerhin tobte in Kiew bereits der Machtkampf, der kurze Zeit später mit der (ersten) "Orangenen Revolution" endete.
Es folgte eine Belehrung über die Unannehmlichkeiten die mich erwarten würden, wenn ich es wagen sollte, ohne Journalistenvisum Berichte zu schreiben. "Sie bekommen dann einen Riesenärger", warnte der Schaltermann. Irgendwann war aber auch das Konsulat von meiner Harmlosigkeit überzeugt. Wir wollten wirklich nur auf die Krim und ein wenig im Schwarzen Meer baden.
Dieser Plan sollte am Grenzposten "Kosatscha Lopan" nördlich von Charkow jedoch ein jähes Ende finden. "Wir können Sie unmöglich einreisen lassen", meinte der Grenzer. "In Ihrem Pass steht doch ganz deutlich, dass Sie ein Visum der Kategorie P-1 haben." Ein P-1-Visum sei aber nicht für Touristen, sondern für Ausländer, die zum Beispiel dringend zur Beerdigung eines Angehörigen müssten. Ich müsse wohl oder übel nach Russland zurückkehren. Frau und Kind könnten mit ihren russischen Ausweisen weiterfahren.
Noch nicht fertig mit dem Deutschen im letzten Waggon
Ich dachte mir gleich, dass der Grenzbeamte wohl nur Geld abkassieren wollte. Schließlich hatte ich in Moskau fast zehn Minuten mit dem ukrainischen Konsulat verhandelt, bis sie bereit waren, mir das Visum auszustellen. Ein Fehler meinerseits schien mir unmöglich. Aber die Grenzer, inzwischen war ein zweiter hinzugekommen, machten keine Andeutungen, dass sie ein Bakschisch erwarteten. Einstweilen stritten wir uns daher darüber, ob ein argloser Tourist wissen müsse, dass P-1-Visa nur für Beerdigungen gültig seien, wenn er denn ein Touristenvisum beantragt hat.
Dann quarrte eine Stimme im Funkgerät, ob man den Zug nun langsam abfahren lassen könne. Es gebe schließlich so etwas wie einen Fahrplan. "Im letzten Waggon sitzt ein Deutscher", antwortete mein Grenzer in sein Walkie-Talkie, "mit dem sind wir noch nicht fertig" Eine Minuten später erschien ein Offizier im Gang, offensichtlich der Anführer der Grenzschützer. Auch er prüfte mit sorgenvollem Blick meinen Reisepass, die beiden anderen erklärten ihm das Problem. "Unmöglich, nein, wir können Sie unmöglich einreisen lassen mit diesem Visum", meinte auch er.
Schließlich schickte er seine Untergebenen weg, kam in unser Abteil und schloss die Tür hinter sich. Jetzt, jetzt will er Geld, dachte ich. Der Chefgrenzer sah nun noch wichtiger und besorgter aus, als zuvor. "Haben Sie Drogen im Gepäck?" fragte er gelangweilt. Ich verneinte wahrheitsgemäß. "Waffen?" Hatten wir auch nicht im Koffer. Der Offizier machte eine kleine Pause, fragte dann, sich seiner ganzen Macht bewusst: "Wie viel Geld führen Sie mit?"
Ich bin grundsätzlich noch nie gerne mit dicker Brieftasche in osteuropäische Nachtzüge gestiegen. Wozu ein Risiko eingehen, wenn es überall Bankautomaten gab? Ich musste also noch nicht einmal allzu sehr schauspielern. "Geld?" entgegnete ich dem korpulenten Uniformierten. "Wir haben hier 200 Rubel (damals 7 Euro)", ich schnappte schnell meine Geldbörse und zählte ihm die kleinen Rubelscheine vor, "und diese beiden Kreditkarten dabei."
Darauf war der dicke Obergrenzschützer überhaupt nicht vorbereitet. Eine ganze Weile blieb ihm der Mund offen stehen. "Na dann", sagte er nach einer Weile, "eine schöne Reise noch." Mit Schwung knallte er mir einen lila Stempel in den Pass, riss beim zweiten Versuch mit Gewalt unsere defekte Abteiltür auf und verschwand. Der Krim-Urlaub konnte beginnen.