"Was ich auf den Solowki gelernt habe? Zuallererst habe ich verstanden, dass jeder Mensch ein Mensch ist."

 

Dmitri Lichatschow (1906-1999), russischer Literaturwissenschaftler und Häftling im Solowezki-Lager

 

 

Russlands Schicksals-Archipel - Die Solowezki-Inseln

Соловецкие острова

Beim Namen dieser einsamen Inselgruppe im Weißen Meer, hoch im Norden Russlands, beginnt für viele Russen ein aufwühlendes Kopfkino. Die Solowezki-Inseln, abgekürzt Solowki genannt, stehen für eines der größten Heiligtümer der russisch-orthodoxen Kirche, das

zum Konzentrationslager für Gegner der Sowjetmacht zweckentfremdet wurde. Kaum irgendwo liegen Himmel und Hölle so nah beieinander - die Solowki sind gleichermaßen Inbegriff des mörderischen Gulag-Systems und Symbol tiefer Frömmigkeit. Seit der Wende zieht es wieder Pilger und zivilisationsmüde Aussteiger auf den abgelegenen Archipel. Wer die weite Anreise auf sich nimmt, wird reichlich belohnt: Neben der oft düsteren Geschichte macht auch die Natur am Weißen Meer die Inseln zu einem der bemerkenswertesten Orte in ganz Russland.

Abends am Hafen des Solowezki-Klosters Соловки порт вечером
Abenstimmung am Klosterhafen auf den Solowki

Steckbrief Solowezki:

Gründungsjahr: 1436

Zeitzone: Moskauer Zeit

Sehenswert (* - *****): *****

Einwohnerzahl: 900

Entfernung von Moskau: 1.500 Kilometer

Berühmt für: Gulag, Kloster, Belugawale



Die Inselgruppe im Weißen Meer, der Alexander Solschenizyn zu seinem Romantitel "Der Archipel Gulag" inspirierte, liegt knapp südlich des Polarkreises. Sie besteht aus der Großen Solowezki-Hauptinsel und fünf kleineren Inseln sowie rund 100 Inselchen. 

 

Wer zum ersten Mal am Fähranleger der Solowezki-Siedlung von Bord geht, die niedrigen Holzhäuser sieht und auf den staubigen Straßen Mönche und Frauen mit bunten Kopftüchern trifft, glaubt sich am Ende einer Zeitreise in die Vergangenheit. Im Sommer wird es hier nie dunkel. Bevor die Sonne für ein kurzes Weilchen unter den Horizont sinkt, taucht sie die Klostermauern, die Zwiebeltürme dahinter und den kleinen Hafen in ein atemberaubendes Licht. Dazu vermischen sich Glockengeläut und das Geschrei der Möwen.

Steinkreis auf den Solowezki-Inseln
Die ersten Bewohner der Solowki hinterließen mysteriöse Steinlabyrinthe

Auf einer Fläche von der Größe Fehmarns leben offiziell nur rund 900 Menschen. Dennoch gibt es eine Schule, eine Art Krankenhaus und sogar einen winzigen Flughafen. Viele Einwohner verbringen allerdings nur die Sommermonate hier und fliehen vor den langen, dunklen Wintermonaten aufs Festland.

Die Geschichte der Solowki ist wesentlich älter als die des Klosters. Schon in der Steinzeit lebten hier Menschen, die eine Reihe seltsamer Steinkreise hinterließen. Lange galten die Solowki dann als unbewohnt. Im 15. Jahrhundert landeten die ersten Mönche auf der Hauptinsel an, die die Geschicke hier während der kommenden Jahrhunderte bestimmten. 

 

Viele Russen träumen davon, mindestens einmal im Leben auf die Solowezki-Inseln zu reisen. Manche, die dort schon waren, kommen danach wieder. Während der kurzen Tourismussaison im Sommer sind deshalb inzwischen alle Hotelzimmer und Privatunterkünfte in der kleinen Siedlung meist lange im Voraus ausgebucht, die Fähre vom karelischen Hafen Kem ebenso. Deshalb gilt für Besucher: Unbedingt rechtzeitig planen! Die Solowki sind kein Ort, wo man mal eben so spontan vorbeischaut.

500 Rubel Banknote Solowezki-Kreml
500-Rubel-Banknoten - Findet die Unterschiede

Im Übrigen kann wohl jeder Russland-Reisende zumindest einen kurzen Blick auf die Kloster-Insel und ihren beeindruckenden Kreml werfen, wenn er seine Geldbörse öffnet: Die Solowezki-Inseln zieren nämlich eine Seite der 500-Rubel-Banknoten.

Bei der Einführung lief es nicht ohne Pannen ab. Ursprünglich zeigte der Rubelschein nämlich die Klosterkirchen mit abgesägten Türmen - also so, wie sie zu Zeiten des Konzentrationslagers aussahen. Außerdem war auf den Banknoten ein Segelboot zu sehen. Die hat es aber auf dem See hinter dem Kloster nie gegeben. Die Moskauer Zentralbank ließ inzwischen "verbesserte" 500-er drucken. Beide Versionen sind nach wie vor im Umlauf.


Die Solowezki-Inseln auf der Landkarte:


Das Solowezki-Kloster

Соловецкий монастырь

Solowezki-Kloster im Weißen Meer
Blick vom Hafen auf das Solowezki-Kloster

Das 1436 von den beiden legendären Mönchen Sossima und German gegründete Solowezki-Kloster ist der mit Abstand bedeutendste Anziehungspunkt auf der Inselgruppe. Mit seinen Kirchen, den hohen Mauern und trutzigen Wehrtürmen beeindruckt die Kreml-Anlage jeden Besucher. Zeitweise lebten hier weit über 300 Mönche, und das Solowezki-Kloster galt als einer der wichtigsten Grundbesitzer in Nordrussland. Die Glanzzeit des direkt dem Moskauer Patriarchen unterstellten Klosters fällt auf das 16. Jahrhundert, als unter Abt Philipp viele technische Neuerungen auf dem abgelegenen Eiland Einzug hielten und beispielsweise ein ausgetüfteltes Kanalsystem auf der Hauptinsel geschaffen wurde. Mönche, denen im großen Kloster zu viel Trubel herrschte, gründeten Einsiedeleien, auch auf den kleineren Inseln. 

 

Dramatisch ging es hier immer zu: Im 17. Jahrhundert weigerten sich die Mönche des Klosters, die Kirchenreformen des Patriarchen Nikon zu akzeptieren und hielten acht Jahre lang einer Belagerung durch Truppen des Zaren stand. Im 19. Jahrhundert kam es während des Krimkriegs zu einem legendenumwobenen Gefecht mit britischen Kriegsschiffen. Schon zu Zarenzeiten befand sich hier auch ein Gefängnis, in dem Gegner der Obrigkeit auf ewig eingekerkert wurden. Nach der Oktoberrevolution wurde aus dem Kloster dann 1923 das "Solowezki-Lager für besondere Verwendung" für Gegner der Sowjetführung eingerichtet - faktisch ein KZ. Unter katastrophalen Bedingungen mussten Kriegsgefangene, Aristokraten und Oppositionelle auf der Insel Zwangsarbeit leisten. Bis zu 70.000 Häftlinge gleichzeitig befanden sich zeitweise auf den Inseln. Wie viele Menschen ums Leben kamen, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Vermutlich geht die Zahl der Toten in die Zehntausende. Ab 1937 diente das entweihte Klosterareal als Gefängnis und später als Kadettenanstalt.

Solowezki-Kloster
Im Innenhof des Solowezki-Klosters

Seit Anfang der 1990er Jahre gibt es wieder kirchliches Leben auf den Solowezki-Inseln, und das gesamte Gelände wird aufwendig saniert. Auch nach über 25 Jahren sind die Arbeiten nicht abgeschlossen. Die Unesco hat das Solowezki-Kloster bereits 1992 zum Weltkulturerbe erklärt.

Teile des Klostergeländes können tagsüber frei besichtigt werden. Dennoch lohnt sich auf jeden Fall die Teilnahme an einer mehrstündigen Führung, denn nur so sind die Kirchen, Wehrmauern und Türme sowie der vorrevolutionäre Kloster-Kerker zugänglich. Exkursionen gibt es im Sommer täglich, auf Anfrage werden auch fremdsprachige angeboten. Im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen und Klöstern in Russland darf überall fotografiert werden, nur die Mönche wollen nicht aufs Bild kommen.


Die Siedlung Solowezki

Поселок Соловецкий

Solowezki-Siedlung
In der Klostersiedlung scheint die Zeit stehengeblieben zu sein

Rund um das Kloster gibt es eine kleine Siedlung, in der sich das gesamte Leben auf den Inseln konzentriert. Manche der meist aus Holz gebauten Häuser stammen noch aus der vorrevolutionären Zeit, auch einige Baracken aus der Straflager-Ära sind noch erhalten geblieben. In einer davon befindet sich ein kleines Gulag-Museum. Im Sommer ist auch der direkt am Kloster gelegene "Heilige See" ein beliebter Treffpunkt für Einheimische, Pilger und Touristen: In dem rotbraunen Wasser wird nämlich bei gutem Wetter eifrig gebadet.

 

Für Reisende gibt es hier einige kleine Privathotels, Gästezimmer und Lokale. Die Auswahl ist aber nicht wirklich groß. Auch vom Sortiment des örtlichen Tante-Emma-Ladens sollte man sich nicht allzu viel erhoffen. Achtung: Es gibt auf der Insel (Stand 2018) zwar eine winzige Bankfiliale, aber keinen Geldautomaten. 

Wer für seine Lieben daheim ausgefallene Mitbringsel sucht, sollte den Werksverkauf des "Archangelsker Seetang-Kombinats" besuchen. Der ziemlich exotische Betrieb stellt unter anderem Kosmetik und Fruchtgelee aus Meerespflanzen her.


Der Botanische Garten

Ботанический сад Соловецкого музея-заповедника

Botanischer Garten auf den Solowki
Im Botanischen Garten der Solowezki-Inseln

Nördlich der rund um das Kloster gewachsenen Solowezki-Siedlung beginnt eine leicht hügelige Wald- und Seenlandschaft. Knapp fünf Kilometer vom Ortsausgang entfernt liegt der Botanische Garten der Solowezki-Inseln - einer der nördlichsten der Welt. Angelegt wurde er von Mönchen des Klosters bereits Anfang des 19. Jahrhunderts. Den frommen Männern gelangen einige spektakuläre Erfolge: In den hiesigen Gewächshäusern zogen sie Melonen, Pfirsiche und andere Pflanzen auf, die man so weit im Norden gewiss nicht vermuten würde. Zur Zeit des Straflagers wurde das Gelände zeitweise von Gefangenen weiter gepflegt. Heute gehört es zum Museumsunternehmen, das auch für das Kloster zuständig ist. Neben den Pflanzen stehen hier auch eine wild-romantische ehemalige Datsche des Klostervorstehers (und später des Lager-Kommandanten) sowie eine kleine orthodoxe Kapelle.


Das Belugawal-Kap

Мыс Белужий

Belugawal-Kap Solowki Мыс Белужий
Waltouristen am Belugawal-Kap

Ein winziges, zu Fuß nur bei Ebbe zu erreichendes Inselchen vor der Solowezki-Hauptinsel zieht jeden Sommer Reisende von weit her an: Das Weißwal-Kap gut 15 Kilometer nordwestlich der Klostersiedlung, ist einer der weltweit besten Orte, um Belugawale zu beobachten. Die Meeressäuger bringen in dem flachen Wasser rund um die Solowki ihren Nachwuchs zur Welt. Das Weiße Meer rund um die Inseln ist so etwas wie der Kindergarten für die seltenen Tiere. 

Die bis zu sechs Meter langen Belugas leben in den arktischen Gewässern der nördlichen Erdhalbkugel. In Europa beschränkt sich ihr Verbreitungsgebiet auf den äußersten Nordosten Norwegens, die Barentssee - und eben das Weiße Meer. Auf den Solowki kann man die Wale gelegentlich auch an anderen Stellen antreffen, wir sahen einige sogar auf der Fährüberfahrt. Dennoch ist die Chance auf erfolgreiche Walbeobachtungen nirgendwo besser als am Beluga-Kap. Hier schwimmen die weißen Elterntiere und ihre noch dunklen Jungtieren teilweise keine 30 Meter vom Strand entfernt durchs Meer. Wissenschaftler hatten einst einen Beobachtungsturm an den Strand gebaut, der jedoch vor einigen Jahren bei einer Sturmflut einstürzte.

Einige Einheimische bieten Bootstouren zu den Walen an, aber ob das ökologisch sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Der reguläre, auch ohne ortskundigen Führer zu bewältigende Weg zum Belugawal-Kap führt mit dem Fahrrad gute zehn Kilometer auf dem Hauptweg zum Sekirnaja-Berg entlang und dann zu Fuß noch gute fünf Kilometer über einen Trampelpfad durch den Wald. An der Küste geht es bei Ebbe zu der vorgelagerten Insel. Wichtig ist, sich vor dem Aufbruch nach den Gezeiten zu erkundigen!


Das Petschak-Kap

Мыс Печак

Die große Bolschoi-Solowezki-Insel ist fast vollständig von Wald bedeckt. Auf einem kleinen Abschnitt rund um das Petschak-Kap überwiegt aber eine Pflanzenwelt, die eher an Tundra oder Waldtundra erinnert: Kurioserweise ist es nicht der äußerste Norden, sondern der Südzipfel, an dem nur noch niedrige Krüppelbirken und Heide wachsen. Abseits des Klosters sind nirgendwo auf den Solowezki-Inseln sonderlich viele Menschen unterwegs, aber am Petschak-Kap haben Besucher die Natur mit hoher Wahrscheinlichkeit fast für sich allein.

Von der Siedlung aus führt ein Radweg etwa 12 Kilometer weit bis ans südliche Ende der Insel. An der Südküste angekommen ist es noch ein kurzer Marsch zum eigentlichen Ziel. 


Anreise: Wie kommt ihr auf die Solowezki-Inseln?

Flughafen auf den Solowezki-Inseln  Аэропорт Соловецкий
Puppenstuben-Flughafen auf den Solowezki-Inseln

Die meisten Besucher gelangen über das Weiße Meer auf die Solowezki-Inseln. Die Fahrt führt an am Rande der felsigen, unbewohnten Kusow-Inselgruppe vorbei und ist für sich genommen schon ein Erlebnis. In den Sommermonaten - meist von Juni bis Ende September - verkehren täglich drei Fährschiffe von Karelien aus zu den Solowki.

Am einfachsten ist die Anreise über den Ort Kem, von wo die beiden Fähren "Wassili Korsakow" und "Metel" nur rund zwei Stunden benötigen.
 Diese Fährlinie ist zeitlich auf die Nachtzüge von und nach Sankt Petersburg und Moskau abgestimmt. Das Fährschiff "Metel" macht einen etwas abgehalfterten Eindruck. Wenn 80 Passagiere im Fahrgastraum Platz nehmen, wird es auch ziemlich eng, und bei kräftigem Wind hält sich der Spaß an Bord in Grenzen. Von Belomorsk weiter im Süden verkehrt die größere "Sapfir", braucht doppelt so lange für die Überfahrt, auch hat das Schiff einen ungünstigeren Fahrplan.

Außerhalb der Sommersaison sind Linienflüge von der Gebietshauptstadt Archangelsk aus der einzige Weg auf die Inseln. Zum Einsatz kommen recht kleine Propellerflugzeuge. Fluggäste werden in einem putzigen Holz-Terminal abgefertigt. Nach Archangelsk gibt es wiederum regelmäßige Flugverbindungen über Moskau oder St. Petersburg.


Der Rhein-Wolga-Kanal empfiehlt: Gästehaus Pinagor

Aussicht auf das Solowezki-Kloster вид из гостевого дома Пинагор на Соловках
Ausblick von der Veranda des Gästehauses "Pinagor"

Während unseres Aufenthalts auf den Inseln im Sommer 2018 haben wir im kleinen Guest House "Pinagor" ("Seehase") übernachtet, wenige Schritte vom Kloster entfernt. Die Zwei- und Vier-Bett-Zimmer sind sehr ordentlich und recht modern, allerdings gibt es im Erdgeschoss nur ein Gemeinschaftsbad für drei Zimmer. Gäste können auch eine Küche benutzen, und als besonderen Service gibt es auf Wunsch frische Milch von der hauseigenen Kuh zu kaufen. Die Besitzer betreiben auch ein kleines Lokal auf dem Grundstück und hatten während unseres Aufenthaltes sogar eine Historikerin zu einem Gesprächsabend über die Gulag-Geschichte der Insel eingeladen. Wir sind nur ungern wieder abgereist.

Sehr zu empfehlen ist die Kantine im nahegelegenen Kloster, die nicht nur Pilgergruppen, sondern auch gewöhnliche Touristen versorgt. Wir waren während unseres Aufenthaltes jeden Morgen zum Frühstück im klösterlichen Speisesaal (Zahlung mit Kreditkarte ist möglich!), und ich habe selten in Russland so leckere Piroggen gegessen. Frauen sollten gemäß den orthodoxen Kleidervorschriften auf dem Gelände besser einen Rock anziehen und ein Kopftuch oder einen Hut tragen.


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