"Wir scherzen und scherzen, aber die Schwermut wächst und wächst."

Marina Zwetajewa (1892-1941), russische Dichterin

 

 

Russlands vergessene Hauptstadt - Alexandrow

Александров

Dass Moskau nicht immer die Hauptstadt Russlands war, wissen die meisten: Über 200 Jahre lang wurde das Imperium von Sankt Petersburg aus regiert. Weit weniger bekannt ist, dass auch im von schweren Krisen geplagten 16. Jahrhundert ein dritter Ort für die Dauer von rund 17 Jahren zum Zentrum der Macht im Zarenreich aufstieg: Zar Iwan der Schreckliche verlegte seine Residenz für fast zwei Jahrzehnte nach Alexandrow nordöstlich von Moskau. An die große Vergangenheit erinnert in dem Provinzstädtchen heute nicht mehr viel. Alexandrow ist zwar Teil des "Goldenen Rings" altrussischer Städte, aber die meisten Reisenden fahren ohne Stopp an diesem wahrhaft historischen Ort vorbei.

Alexandrow in Russland
Blick auf den Kreml von Alexandrow

Steckbrief Alexandrow:

Gründungsjahr: 1434

Zeitzone: Moskauer Zeit

Sehenswert (* - *****): **

Einwohnerzahl: 58.000

Entfernung von Moskau: 111 Kilometer

Berühmt für: Iwan den Schrecklichen



Wer neu nach Alexandrow kommt, ist zunächst etwas ernüchtert. Die Stadt, die offiziell zum wirtschaftlich eher schwachen Gebiet Wladimir gehört, wirkt auch für russische Provinz-Verhältnisse recht trist und sowjetisch. Dabei kann Alexandrow auf eine fast 700-jährige Geschichte zurückblicken. Im 14. Jahrhundert als Alexandrowskaja Sloboda gegründet, hatte die Siedlung eine strategisch günstige Lage zwischen Moskau, Rostow Weliki und Wladimir. Hier ließ sich bereits Großfürst Wassili III. im 14. Jahrhundert eine Residenz bauen. Außerdem war es von Alexandrow aus nicht weit bis zum prächtigen Kloster von Sergijew Possad.

Marina-Zwetajewa-Museum in Alexandrow
Marina-Zwetajewa-Museum in Alexandrow

Letzteres gab möglicherweise den Ausschlag für den Entschluss des ebenso schrecklichen wie frommen Zaren Iwan IV.. Der kehrte 1564 - mitten während des für Russland verlustreichen Krieges gegen Polen-Litauen - von einer Pilgerfahrt nach Sergijew Possad nicht mehr nach Moskau zurück, sondern zog es vor, sich in Alexandrow einzurichten. In der Folgezeit konzentrierte er in der Alexander-Siedlung  allmählich die russische Staatsmacht, auch die Moskauer Buchdruckerei zog nach Alexandrow. Von hier aus steuerte Iwan der Schreckliche auch seine ihm treu ergebenen, berüchtigten Opritschniki - eine Mischung aus Leibgarde und berittener Geheimpolizei, die im Zarenreich für Angst und Schrecken sorgte. Nachdem Iwan 1581 mutmaßlich während eines Wutanfalls seinen Sohn Iwan Iwanowitsch erschlug, verließ er Alexandrow für immer. Die prächtige Zarenresidenz verfiel und Alexandrow wurde wieder tiefe Provinz. Ob Iwan der Schreckliche angesichts seines durchaus blutigen Regierungsstils ein Denkmal in "seiner" Hauptstadt verdient hat, war lange in Alexandrow mehr als umstritten. Während unseres Besuchs im Sommer 2019 gab es einen Denkmalsockel, aber die geplante Zarenbüste durfte dort nicht montiert werden. Zum Jahresende hatten dann offenbar die Iwan-Anhänger Oberhand, zumindest vorerst.

Zu Sowjetzeiten wurde Alexandrow zwar nicht noch einmal Hauptstadt des Staates, aber - zumindest im Volksmund - die "Hauptstadt des 101. Kilometers": Bis zum Beginn der Perestroika war es entlassenen Häftlingen, aber auch verbannten Dissidenten nach dem Ablauf ihrer Gefängnis- oder Verbannungszeit oft verboten, nach Moskau, Leningrad oder in andere wichtige Städte der UdSSR zu ziehen. Im Fall von Moskau galt für politisch unerwünschte Personen ein Bannkreis von 100 Kilometern. Alexandrow war somit einer der ersten "erlaubten" Orte jenseits des 101. Kilometers. An diese Rolle der Stadt für zahlreiche von Repressalien betroffene Intellektuelle erinnert ein Museum, das der Dichterin Marina Zwetajewa gewidmet ist, und in dem wir eine ziemlich verworrene Führung miterlebten.


Der Kreml von Alexandrow

Александровский кремль

Dreifaltigkeitskirche im Kreml von Alexandrow
Dreifaltigkeitskirche im Kreml von Alexandrow

Viele Jahre nach dem Verlust seiner Rolle als Zarenresidenz wurde auf dem Gelände der einstigen Alexander-Siedlung, dem Kreml von Alexandrow, ein Nonnenkloster eingerichtet. Das von einer weißen Wehrmauer umgebene Areal ist heute ein Museum. Einige der Bauten, darunter die zentrale Dreifaltigkeitskirche, stammen noch aus der Zeit Iwans des Schrecklichen. Nachdem dessen Opritschniki Nowgorod geplündert und zerstört hatten, raubten sie das Kirchenportal der berühmten Sophienkathedrale, das hier eine neue Verwendung fand. 

Auch der benachbarte Glockenturm soll an die Unterwerfung von Nowgorod durch den Moskauer Staat erinnern. Von seiner 56 Meter hohen Spitze soll zu Iwans Lebzeiten ein Leibeigener namens Nikita versucht haben, mit einem selbstgebauten Apparat in die Luft zu entschweben. Der Legende nach schaffte er es mit seinem Fluggerät zwar über die Kremlmauer und überlebte auch die anschließende Bruchlandung, allerdings soll der russische Ikarus im Anschluss auf Geheiß des Zaren zur Strafe geköpft worden sein.


So kommt ihr nach Alexandrow:

Bahnhof der russischen Stadt Alexandrow
Am Bahnhof von Alexandrow

Alexandrow ist vom Jaroslawler Bahnhof in Moskau aus in gut zwei Stunden mit dem Zug zu erreichen und die Endstation regelmäßiger Vorortzüge. Von Sergijew Possad aus sind es mit der Bahn rund 50 Minuten. Auch einige Fernzüge zwischen Moskau und Jaroslawl an der Wolga oder noch weiter entfernten Gegenden stoppen hier. Die Weiterfahrt mit der Bahn nach Rostow Weliki, einen der wunderbarsten Orte des "Goldenen Rings", ist ebenfalls möglich. Dierund 100 Kilometer entfernte Gebietshauptstadt Wladimir ist hingegen mit der Bahn sehr schlecht erreichbar. Es verkehren aber regelmäßige Linienbusse.


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