Russische Kreuzfahrt

Von St. Petersburg nach Moskau

Die Ferien in Russland zu verbringen, das kam für uns während all der Jahre, die ich in Moskau lebte, eigentlich nie infrage. Noch merkwürdiger hätte ich später die Vorstellung gefunden, eine Pauschalreise nach Russland zu buchen. Im Sommer 2014 war dann alles anders: Meine Chefs hatten mich gefragt, ob ich als Begleitperson bei einer Kirchenzeitungs-Leserreise zur Verfügung stehen würde. Und ob ich das wollte! Schließlich gibt es unangenehmere Arbeiten, als auf einem Kreuzfahrtschiff mitzufahren. Für mich wurde die Reise zu einem ganz besonderen Erlebnis: Da es zum Glück unterwegs praktisch keine unangenehmen Zwischenfälle gab, konnte ich das Land elf Tage lang zum ersten Mal überhaupt aus der Perspektive eines westlichen Touristen erleben.

Tutajew
Christi-Verklärungskirche in Tutajew an der Wolga

Unsere kleine Zeitungsleser-Reisegruppe war auf der Standard-Route für Flusskreuzfahrten von St. Petersburg nach Moskau unterwegs, auf der in der Saison täglich je Richtung mehrere große Schiffe verkehren. Die Route führt über die Flüsse Newa, Swir und Wolga sowie den Wolga-Ostsee-Kanal. Dabei passieren die Reisenden den Ladoga- und den Onegasee – die beiden größten Seen Europas.

 

MS Iwan Bunin
MS Iwan Bunin - ein typisches russisches Flusskreuzfahrtschiff

Unsere Reise unternahmen wir mit der MS Iwan Bunin, einem noch in der DDR gebauten Schiff mit vier Decks, das vor einigen Jahren umfassend modernisiert wurde. Es gehört einer Reederei, die insgesamt neun baugleiche Modelle zwischen Moskau und Petersburg pendeln lässt und jeweils Reisegruppen aus einem anderen Land an Bord nimmt. Dies hat zur Folge, dass auf der MS Bunin vom Kellner bis zum ersten Offizier fast die gesamte Mannschaft Deutsch spricht. Wären nicht vor dem Bullauge endlose Wälder und Zwiebelturmkirchen vorbeigezogen, hätte man kaum gemerkt, dass man sich im Ausland aufhält.

 

Die ausnahmslose sehr nette Gruppe (Alter: zwischen 55 und 83) ist recht überschaubar, nachdem kurz vor dem Abflug noch drei oder vier Personen wegen gesundheitlicher Probleme stornieren müssen und ein Paar wohl aus politischen Erwägungen von der Reise zurücktritt – schließlich fällt die Tour zeitlich mit der Eskalation des Konflikts um die Ukraine zusammen. Insgeheim frage auch ich mich bis kurz vor dem Start, ob die Fahrt überhaupt stattfinden würde. Die Ängste sind unbegründet. Planmäßig trifft sich unsere Gruppe am 12. August am Busbahnhof in Ludwigshafen und landet mit der Lufthansa-Maschine aus Frankfurt bald im runderneuerten Terminal von St. Petersburg-Pulkowo.

Die Route

Die meisten Schiffe auf der Moskau-Petersburg-Route folgen einem nahezu identischen Reiseplan. Zwischenstopps der Flusskreuzfahrt sind das Museumsdorf Werchnije Mandrogi, das Freilichtmuseum auf der Insel Kischi, die Kirillo-Beloserski-Klosterfestung und das Wolga-Städtchen Uglitsch. Die Stichfahrt auf der Wolga nach Jaroslawl haben nicht alle Reisen im Programm, gelegentlich gibt es als zusätzlichen Stopp die Klosterinsel Walaam im Ladoga-See.


St. Petersburg

Санкт-Петербург

Schloss Peterhof Springbrunnen
Atemberaubende Springbrunnen-Anlage in Schloss Peterhof

Am Anfang steht zwei Tage lang das klassische Touristenprogramm für St. Petersburg-Besucher, also Smolny-Kloster, Panzerkreuzer „Aurora“ und Zarenpaläste mit Bernsteinzimmer inklusive. Zum ersten Mal erlebe ich das Peterhof-Ensemble mit seinen Springbrunnen im Sommer. Es ist sagenhaft. Allerdings stehen die Petersburger Attraktionen auch in Sachen Touristenandrang den anderen Metropolen Europas in nichts mehr nach. Rekordverdächtig ist nicht nur die Anzahl der Reisebusse vor den Sehenswürdigkeiten, sondern auch, wie wir innerhalb von anderthalb Stunden durch die Kunstsammlung der Eremitage gehetzt werden. Auf dem Schiff werden diverse Zusatzausflüge angeboten, darunter ein abendlicher Spazierung durch das Petersburger Zentrum für 40 Euro. Ich beschließe, dass das auch billiger geht und fahre mit meinen Pfälzern in der Metro an den Newski Prospekt. Dort zeige ich einige meiner Lieblingsorte zwischen dem legendären Jelisejewski-Feinkostladen und den angrenzenden Kanälen.

 

Schließlich legt die MS Iwan Bunin ab und die Fahrt entlang der Newa beginnt. Zunächst passieren wir riesige Trabanten-Vorstädte, später die Datschen-Siedlungen und Villen schwer- und mittelreicher Petersburger. Einer hat sich zu seinem Anwesen am Fluss neben dem privaten Bootshaus sogar einen eigenen Leuchtturm gebaut. Mit jedem Kilometer wird die Landschaft dann schließlich immer waldiger, die Abstände zwischen den Siedlungen größer. Auffällig ist die große Anzahl von Frachtschiffen, die bis zum Rand mit Holz beladen in Richtung Petersburg unterwegs sind. Bereits nach Sonnenuntergang passieren wir im Dämmerlicht die imposante Festung von Schlüsselburg, den Zugang zum Ladogasee. 

Werchnije Mandrogi

Верхние Мандроги

Holzhaus Werchnije Mandrogi
Ein Unternehmer hat dem Dorf Werchnije Madrogi wieder Leben eingehaucht

Am nächsten Tag ist das Wetter leider nicht mehr gut. Erster Zwischenstopp für die Flusskreuzfahrtschiffe ist das Dorf Werchnije Mandrogi, vor zwanzig Jahren noch eine von den Bewohnern aufgegebene Siedlung, der ein reicher Unternehmer dann als Museumsdorf wieder Leben eingehauchte. In vielen der Holzhäuser arbeiten und leben heute Handwerker. Sogar einige Kinder wurden inzwischen schon wieder hier geboren. Fest zum Programm der Pauschaltouristen gehört eine sogenannte „Schaschlik-Party“ in einem riesigen hölzernen Festsaal mitsamt musikalischer Berieselung – es wird nicht die letzte Kalinka-Darbietung dieser Fahrt bleiben...

Kischi

Кижи

Holzkirchen Kischi Onegasee
Die Holzkirchen von Kischi sind Unesco-Welterbe.

Über Nacht geht es weiter Richtung Norden in die autonome Republik Karelien, auf dem riesigen Onegasee kann ich wegen des starken Seegangs schlecht schlafen. Am früheren Morgen liegt die MS Iwan Bunin schon an der Insel Kischi – das Freilichtmuseum
in der autonomen Teilrepublik Karelien ist vor allem wegen der beeindruckenden, ins UNESCO-Welterebe aufgenommenen Holzkirchen sehenswert. Die zentrale, fast ohne Nägel gebaute Verklärungskirche aus dem 17. Jahrhundert mit ihren 22 Kuppeln wird derzeit aufwendig restauriert. Beim ersten Blick denke ich an eine optische Täuschung, weil es so aussieht, als fliege die Spitze der Kirche frei in der Luft. So ähnlich wird das noch einige Jahre bleiben. Nach viel zu kurzem Aufenthalt müssen wir wieder an Bord, obwohl ich an diesem friedlichen Ort gerne länger geblieben wäre.

  

Während der Rückfahrt über den Onega-See ist unsere pfälzsiche Gruppe zu einem Besuch auf der Brücke bei Kapitän Christofor eingeladen, einem total charmanten und lustigen Mann, der nicht einmal Russe ist, sondern dem großen Seefahrervolk der Armenier angehört. Am Südende des Sees erreichen wir schließlich das Verwaltungsgebiet Wologda, eine ebenfalls dünn besiedelte Gegend, in der nur wenige Dörfer an den Ufern zu sehen sind.

Dem Augenschein nach läuft das Leben hier nach einem völlig anderem Rhythmus als in den großen Städten, und auch die Kirchen sind bei weitem nicht überall so gut in Schuss wie in Moskau oder St. Petersburg. Hier beginnt nun auch das Schleusensystem des Wolga-Ostsee-Kanals. Bis zum nächsten Morgen werden wir insgesamt sechs Mal angehoben. An Bord geht es derweil weiter mit dem nahezu pausenlosen Unterhaltungsprogramm. Den Touristen werden unter anderem Vorträge, ein Wodka-Seminar, Livemusik und ein Russisch-Sprachkurs geboten. Für den Sonntagmorgen bereite ich eine kleine Andacht vor - wir sind schließlich eine kirchliche Reisegruppe - und bin überrascht, dass doppelt so viele Menschen kommen, wie unsere Gruppe Mitglieder hat. 

Kirillo-Beloserski-Kloster

Кирилло-Белозерский монастырь

Kirillo-Beloserski-Kloster Kirillow
Das festungsartige Kloster in Kirillow besteht seit Anfang des 15. Jahrhunderts.

Nächster Halt ist am folgenden Vormittag das Dorf Goritsy. An der Anlegestelle warten bereits Busse, die alle Passagiere in die nahe gelegene Kleinstadt Kirilow bringen. Ziel ist das Kirillo-Beloserski-Kloster, einst eines der größten und reichsten Klöster Russlands. 1918 wurde der letzte Abt erschossen, aber das Kloster zumindest nicht völlig zerstört, sondern zum Museum erklärt. Seit einigen Jahren leben wieder einige Mönche auf einem Teil des Geländes. Die meisten Bauten werden jedoch auch nach dem Ende der Sowjetzeit als Museum genutzt. In einer Halle des Klosters erwartet uns ein A-capella-Männerchor – eine häufige Touristenunterhaltung bei den Zwischenstopps unserer Fahrt. Der Chor hier gefällt mir am besten von allen, auf der Rückflug habe ich eine CD im Koffer.

In der Nacht passieren wir die Lichter der russischen Stahl-Hauptstadt Tscherepowez und gelangen über den Rybinsker Stausee bis zur Wolga. Hier ist ein Abstecher in die Stadt Jaroslawl geplant, der beinahe ausfallen muss. In der Wolga herrscht nämlich extremes Niedrigwasser, viele Schiffe dürfen den Fluss stromabwärts des Stausees nicht befahren. Irgendwie kommt unser armenischer Kapitän aber durch. 

Jaroslawl

Ярославль

Entschlafens-Kathedrale Uspenski Sobor Jaroslawl
Entschlafens-Kathedrale in Jaroslawl

Jaroslawl kenne ich von einem Besuch 1996, von damals habe ich die 500.000-Einwohner-Stadt als eher trostlos in Erinnerung. Sie ist kaum wiederzuerkennen. Zum 1.000-Jahre-Jubiläum wurde hier vor einiger Zeit richtig viel Geld ausgegeben. In der Prophet-Elija-Kirche aus dem 17. Jahrhundert bestaunen wir die faszinierenden Fresken, unter anderem eine Darstellung, auf der Juden und Deutsche gemeinsam in die Hölle hinabfahren - im Gegensatz zu den Rechtgläubigen, die sich über die Aufnahme in den Himmel freuen. Leider wird unsere Freude am Stadtrundgang durch Starkregen geschmälert. Erschwerend kommt hinzu, dass langsam die vielen besichtigten Kirchen und Klöster mit ihren Ikonostasen und Wandmalereien anfangen, sich im Kopf zu einem unschönen Brei zu vermengen. 

 

Gute Laune macht dagegen stets das Abendessen. Es ist jeden Tag ohne Ausnahme exzellent, unglaublich abwechslungsreich und sogar die Kellnerinnen sind je nach Reisetag immer anders uniformiert. Nach dem Ablegen in Jaroslawl beispielsweise ist ein tatarischer Abend vorgesehen.

Uglitsch

Углич

Demetrios-Kirche in Uglitsch
Uglitsch ist der letzte Zwischenstopp für Kreuzfahrtschiffe vor Moskau

Am nächsten Morgen liegt die MS Bunin bereits in Uglitsch vor Anker, als die Touristen zum Frühstück gebeten werden. Die kleine, sympathische Stadt an der Wolga, die manchmal zum "Goldenen Ring" gezählt wird, obwohl sie schon sehr weit abseits liegt, ist der letzte Zwischenstopp der Kreuzfahrtschiffe vor Moskau. Hier nahm eine der großen Tragödien der russischen Geschichte ihren Anfang, als nach dem Tod Iwans des Schrecklichen dessen Sohn Dmitri in Uglitsch eines vermutlich unnatürlichen Todes starb. Die Zarendynastie war damit erloschen, in Russland begann ein Jahrzehnt politischer Wirren. Erneut regnet es fast ohne Pause, daher bin ich nicht unglücklich, dass die Passagieranlegestelle nur wenige Schritte vom Uglitscher Kreml entfernt liegt. Wie in St. Petersburg gibt es auch hier eine "Blutkirche" an der Stelle, an der der achtjährige Zarewitsch einst ums Leben gekommen sein soll.

Bis zur Ankunft in Moskau ist das Schiff noch fast einen Tag lang unterwegs, allerdings gibt es keine weiteren Landgänge mehr. Eines der Wahrzeichen der aufgestauten Wolga, den Turm der im Uglitscher Stausee versunkenen Nikolaus-Kathedrale von Kaljasin, passieren wir am Nachmittag, als die Wolken für kurze Zeit einmal Pause machen. Bei Sonnenuntergang verlässt unser Schiff die Wolga, um über den Moskau-Wolga-Kanal die Hauptstadt zu erreichen.

Moskau

Москва

Der Moskauer Passagierhafen liegt nordwestlich des Stadtzentrums
Der Moskauer Passagierhafen liegt nordwestlich des Stadtzentrums

Unser Schiff ist so überpünktlich, dass es morgens einige Stunden in einem kleinen Stausee nördlich von Moskau stoppt, da es wohl noch nicht anlegen darf oder weil es die Hafengebühren sparen will. Bei strömendem Regen macht die "Iwan Bunin" schließlich am "Flussbahnhof" der russischen Hauptstadt fest. Bis zum Heimflug meiner Leserreise-Gruppe bleiben wir noch zwei weitere Nächte an Bord - Zeit, um die russische Hauptstadt kennenzulernen. Für einen Nachmittag treffe ich meine Familie, die während meiner Kreuzfahrt auf eigene Faust zur russischen Großmutter gereist war und nehme mir einige Stunden "frei" von meinen Pfälzern und Hessen.  Auf dem Programm stehen ansonsten alle wichtigen Höhepunkte wie Kreml und Roter Platz, das Neujungfrauenkloster und die Sperlingsberge, die Fußgängerzone Arbat und die Metro. Für Museumsbesuche ist in diesem eng gestrickten Programm allerdings keine Zeit mehr. Aber wer Moskau bisher nicht kannte, bekommt so auf jeden Fall einen guten ersten Überblick.


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