"Sagen wir es gleich: Es gibt keine adequaten Mittel, um das Wunder von Kischi zu beschreiben."
Jakow Malkow (1929-2001), russischer Physiker und Ingenieur
Eine kleine Insel am Nordrand des riesigen Onegasees im Norden von Russland, Kischi, beherbergt eines der bekanntesten Freilichtmuseen des Landes. Rund um zwei alte Holzkirchen aus dem 17. und 18. Jahrhundert wurden im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte etliche historische Holzbauten aus ganz Karelien auf das Eiland geschafft. Knapp 70 Kilometer nordöstlich der karelischen Hauptstadt Petrosawodsk entstand auf diese Weise ein beeindruckendes Ensemble, das Touristen aus der ganzen Welt anzieht. Über 160.000 Besucher pro Jahr werden mittlerweile in dem entlegenen Museumskomplex gezählt. Die zentralen Baudenkmäler des sogenannten "Kischi-Kirchhofs" wurden bereits 1990 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.
Das Ensemble um die einmalige Verklärungskirche wurde bereits während der Stalin-Zeit unter Denkmalschutz gestellt, als viele Kirchen im Sowjetreich verfielen oder mutwillig zerstört wurden. Ab Mitte der 1960-er Jahre begann dann der Ausbau der Insel zu einem Freilichtmuseum, in dem Blockhäuser, Kapellen und andere Bauwerke aus den Dörfern rund um den Onegasee zusammengetragen und aufgebaut wurden. Zu sehen sind auch viele Alltagsgegenstände aus dem Leben der Menschen in der von Russen, Kareliern und der inzwischen fast verschwundenen kleinen finno-ugrischen Volksgruppe der Wepsen besiedelten Region.
Die Insel Kischi ist ein Zwischenstopp der meisten Flusskreuzfahrten auf der beliebten Route zwischen Moskau und St. Petersburg. Wer eine solche Pauschalreise gebucht hat, muss sich überhaupt keine Gedanken darüber machen, wie er auf die Insel gelangt. Reisende, die auf eigene Faust Karelien und Nordrussland erkunden, gelangen in der Regel über Petrosawodsk nach Kischi. Zwischen der Museumsinsel und der karelischen Hauptstadt verkehren in den Sommermonaten täglich Tragflächenboote vom Typ "Meteor" oder "Kometa". Eine einfache Fahrt über den Onegasee dauert rund 75 Minuten. Im Winter, wenn der See zugefroren ist, bieten örtliche Reisebüros Überfahrten mit einem Luftkissenboot. In den kalten Monaten ohne zuverlässige Eisdecke ist sogar die Anreise mit dem Hubschrauber möglich, was aber vermutlich das Budget vieler Russlandbesucher übersteigen dürfte.
Die einzigartige hölzerne Verklärungskirche von Kischi mit ihren 22 Kuppeln ist das bekannteste Bauwerk der Museumsinsel. Sie
wurde im Jahr 1714 am Standort einer älteren, bei einem Brand zerstörten Kirche errichtet - angeblich von einem einzigen Zimmermann. Das einzige Werkzeug, das dem Erbauer zur Verfügung stand, war seine Axt. Die Legende besagt, der damalige Baumeister namens Nestor habe sein Beil nach der Fertigstellung der 37 Metern hohen Kirche in den See geworfen, weil er sich sicher war, dass er ohnehin nie wieder etwas vergleichbare Schönes erschaffen würde.
Bekannt ist die Kirche dafür, dass sie komplett ohne Nägel aus Metall gebaut wurde, bei späteren Arbeiten zum Erhalt des einzigartigen Bauwerks wurden allerdings die Dachschindeln an die Kuppeln genagelt. Im Inneren des Gotteshauses ist eine sehenswerte Ikonenwand aus dem 18. Jahrhundert erhalten.
Die teils morschen Holzbalken werden seit Jahren mit einer aufwendigen Technologie restauriert, daher ist die Kirche von innen zurzeit nicht zugänglich: Dazu wurde eine tragende Metallkonstruktion unter die Holzwände gebaut, die es ermöglicht, die Wände der Kirche an ihr aufzuhängen. Schicht für Schicht werden alle Balken ausgebaut, untersucht und bei Bedarf ersetzt. Die Fotos auf dieser Seite zeigen alle den Stand der Restaurationsarbeiten im Sommer 2014.
Ebenfalls innerhalb der Mauern, die den "Kischi-Kirchhof" bilden, steht ein zweites, kleineres, aber auch im Winter nutzbares Gotteshaus - die Kirche Maria Schutz und Fürbitte.
Mit ihrem Bau wurde 1694 begonnen, Mitte des 18. Jahrhunderts erhielt sie nach einem Feuer ihr heutiges Aussehen mit neun Kuppeln. Der Glockenturm zwischen beiden Kirchen ist etwas jünger, die Holzpalisaden, die den Kischi-Kirchhof umgeben, wurden in der Sowjetzeit erneuert.